Montag, 8. Dezember 2014

Herr H. kauft sich Socken und geht mit mir Essen

Hochfest der ohne Erbschuld empfangenen Jungfrau und Gottesmutter Maria, 8.12. 2014
14 km, 10.30 - 17.00 Uhr

Jonas-Reindl - Freyung - Am Hof - Graben - Rotenturmstrasse - Stephansplatz - Kärntnerstraße - Oper - Neuer Markt - Graben - Kohlmarkt - Heldenplatz - Museumsquartier - Mariahilfer Straße - Neubaugasse - Kirchengasse - Mariahilfer Straße - Westbahnhof - Mariahilfer Straße - Babenbergerstraße - Heldenplatz - Kohlmarkt - Stephansplatz - Naglergasse - Jonas-Reindl


1985 wäre ein Landeshauptmann wegen Mariä Empfängnis beinahe ins Häf'n gegangen. Im besagten Jahr war der 8. Dezember auf einen Einkaufssamstag gefallen, die Wirtschaftskammer hyperventilierte und Wilfried Haslauer sen., damals frisch wiedergewählter Landeshauptmann von Salzburg, ließ die Geschäfte offen halten. Nur hatte er die Rechnung ohne den mächtigen Sozialminister Alfred Dallinger gemacht. Der nahm den Fehdehandschuh der Schwarzen auf und saß am Ende am längeren Ast. Es kam zur Ministeranklage gegen Haslinger, und er wurde abgestraft.

Was vor 30 Jahren noch eine die Republik erschütternde Chose war, ist seit 19 Jahren ein Ding der Selbstverständlichkeit. Am 8. Dezember bleiben die Geschäfte offen, und, abertausende Weihnachtsgeschenke werden gekauft.

An einem solchen Tag über Stunden durch die Stadt zu schlendern, erschien Herrn H. und mir als eine verschärfte Form der Stadtwanderung; sich der Schwemme auszusetzen müsste, so die Annahme, zumindest einer zweimaligen Erklimmung des  Hermannkogels gleichkommen.

Die Planung war kurz und phantasiereich. Die Idee war, mit dem ersten Ikeabus in die SCS zu fahren, den Vormittag in der Shopping City zu verbringen und sich dann am Nachmittag in den ersten Bezirk zu stürzen. Das erschien dann doch als zu herausfordernd. Herr H. brachte den Vorschlag ein, sich mit zwei riesigen Einkaufstaschen auf den Weg zu machen, eine Idee, die Gott sei Dank schnell wieder in Vergessenheit geriet. Schließlich wurde als Startpunkt das Jonas-Reindl vereinbart.

Messengatter
Wir beginnen um 10 Uhr 30 - zu früh. Die Freyung ist nur schütter besetzt, und man kann fast tänzelnd durch das Palais Ferstel und über den Hof kommen. Vor dem schwarzen Kamel werden gerade noch die Spuren beseitigt, die die Wiener Schickeria am Vorabend an deren Austernbar hinterlassen hatte.

Nicht alle Geschäfte sind der Versuchung des schnöden Mammons zu Mariä Empfängnis erlegen. Die Schwäbische Jungfrau hält geschlossen, und niemand kann an diesem Tag den  "Kloumrandungsteppich" um 125 € erstehen, der dort feil geboten wird. Gerade kleine Geschäfte tun's der Jungfrau gleich, und gleichzeitig stürmen die Kundschaften nicht jedes Lokal. Gähnende Leere bei Salvatore Ferragamo, in einem Strumpfhosengeschäft haben die Verkäuferinnen viel Zeit für sich und bei Adil Besim lackiert die Dame am Empfang in aller Ruhe ihre Fingernägel.

Es ist Marienfeiertag, und im Stephansdom ist Hochamt. Wir diskutieren kurz, was nun ein "Hochamt" zu einem "Hochamt" macht, und können uns als liturgische Laien nicht einigen. Noch dazu sind wir beide zu kurzsichtig, um ausmachen zu können, wer nun die Messe zelebriert. Ich glaube ein purpurnes Käppi erkennen zu können und schließe auf den Kardinal, Herr H. rechnet mit dem Dompfarrer. Jedoch kein Punkt, wegen dem man sich in die Haare bekommen müßte, nur ein gemeinsamer Besuch beim Augenarzt wird in Aussicht genommen.

Dieses obskure Objekt der Begierde

Wir folgen der Weihnachtsbeleuchtung der Rotenturmstraße, diesen riesigen roten Kugeln, nur um wieder umzudrehen und durch die enttäuschend besuchte Kärntnerstraße zu schlendern. Besser besucht ist das Bekleidungsgeschäft, das nächst dem Finanzministerium Oberbekleidung, Accessoires und alles sonst noch Erdenkliche anbietet. Wir wollen Socken kaufen. Der Sockenkauf ist eine der vornehmsten Feiertagsbeschäftigungen, wenn nicht die vornehmste. Er ist nicht so riskant wie der Hosenkauf, aber gleichsam notwendig, wichtig und nicht trivial. Am Sockenkauf stirbt man nicht, man bekommt höchstens einen Rachenkatarrh.  Es gilt eine Richtungsentscheidung zu treffen. Schlägt man sich auf die Seite der modischen Gecken, der flamboyanten Dandys, der narzisstischen Ego-Akrobaten und greift zu orange, türkis oder hellrosa? Oder ist man einer der Grauen, der Schwarzen, meinetwegen der Dunkelblauen? Herr H. und ich sind beide Vertreter der letzteren Fraktion, obgleich wir kurz orange (Herr H.) und gestreifte (ich) in der Hand halten, die aber mit leicht angewiderten Gesichtsausdruck zurücklegen. Keine Schlange bei der Kassa, enttäuschend.



Nach Umrundung der Oper kehren wir wieder in Richtung Graben und Kohlmarkt zurück, beim Punschstand des Lions-Clubs sind nur vereinzelnde Glühwein-TrinkerInnen [2] zu sehen, und das Sicherheitspersonal der Juweliere und Edelmarken steht verloren vor den Geschäften. Im übrigen. Ein Damen-Übergangsmantel bei Chanel kostet 5.865 €, das Sicherheitspersonal wurde berechtigterweise engagiert.
Geschmacklose Luster

Gemeinsam mit 10.000 ItalienerInnen machen wir Pause - im Demel. Interessanterweise bekommen
wir sofort einen Tisch, die Demelianerinnen servieren rasch und umsichtig Kaffee. Als wir später die Rechnung in Händen halten, trösten wir uns damit, dass es beim Landtmann  ähnlich teuer gewesen wäre; wahrscheinlich röstet man hier im Udo-Proksch-Land die Bohnen mit Blattgold, und das senkrecht. 

Geschmacklose Weihnachtsmärkte
Der Weihnachtsmarkt zwischen den großen Museen ist gut besucht, wir zwängen uns in Richtung Museumsquartier, das recht verlassen mitten in der Stadt liegt. Kein Abstecher ins Ludwig oder ins Leopold, gleich weiter in die Mariahilfer Straße. Hier ist gleich viel mehr los. Das Publikum ist ein anderes als im ersten Bezirk, weniger Geldadel, weniger Touristen. Die Fußgängerzone und die Begegnungszone machen sich gut, sehr gut sogar, es ist eine Freude hier entlang zu gehen und man fragt sich, wo all die MisantropInnen geblieben sind, die noch vor einigen Monaten gegen die Fuzo gewettert hatten. Wir gehen nochmals das Thema Socken an und besuchen ein niedrigpreisigen, aber großflächigen Modetempel. Hier werden Socken Marke "fresh feet" angeboten, mit Anti-Geruchsgarantie, und wir diskutieren, welche Zielgruppe mit einer solchen Marketingstrategie wohl angesprochen werden soll.

Eine gute Rindsuppe Bernhard
die wünsche ich jetzt
ist es kalt
wünschen wir eine heiße Rindsuppe
Österreich ist das beste Rindsuppenland
nichts ist besser in Österreich als die Rindsuppe.

Hunger! Wir steuern die klassischen Wirtshäuser des siebten Bezirkes an, die alle geschlossen haben. Nur aus dem Schnitzlwirt quellen die TouristInnen. (Wien hat ein 8. Dezember - Wirtshausproblem.) Wir beginnen mit großen kulinarischen Vorhaben und enden beim Raddatz. Dort kann man durchaus gut jausnen, und wir unterhalten uns bestens über Bosna, Käsekrainer, deren regionalen Ausprägungen und Ursprünge.

Eine Skaterausrüstung?
Die Luft ist heraußen, Wir schmökern noch in einer großen Buchhandlung, ich blättere im Werke Thomas Bernhards (s.o.),  hier ist dann Umsatz. Schließlich die Schleife über das Ende der Mariahilfer Straße und dann zurück in den ersten Bezirk, um zu sehen, ob am Abend mehr Leben ist. Und in der Tat, die Innenstadt ist gut gefüllt, der Punschstand des Lions Club pulsiert, nur bei Ferragamo ist noch immer gähnende Leere.

Die Wirtschaftskammer Wien hat heute mit 120.000 EinkäuferInnen gerechnet, meldet "wien heute" am Abend: "Im Kaufrausch. Heute haben 10.000ende die Wiener Geschäfte gestürmt." Herr H., seine Socken und ich haben unseren Teil dazu beigetragen.