Mariä Opferung, 21. 11. 2015, 12 Stunden, 36,5 km, 901 Höhenmeter (aufsteigend)
In der Früh, kurz nach Sieben, ist der Stephansdom noch nicht vom Weihrauch erfüllt, und eine Schar WienerInnen hat sich vor dem Hauptaltar zu Laudes und Frühmesse versammelt. Das Betreuungsverhältnis ist gut, und das Domkapitel von St. Stephan erzählt vom Gedenktag "Unsere Liebe Frau in Jerusalem" (oder auch Mariä Opferung).
Die gotischen sind uns schon die liebsten, stellen Kollege G. und ich fest, als wir später den Dom verlassen, um uns auf den Weg zu machen. Das heilige Wiener Dreieck sollte es diesesmal sein, der Steffl in der inneren Stadt, die Wotrubakirche in Mauer, die Wagnerianische in Ottakring, und dann wieder der Steffl.
Die Stadt ist noch recht leer, hoch hängen die drohenden Vorboten des Weihnachtsgeschäftes, die Girlanden und hässlichen Kronleuchter, ab und an sieht man eine suchende Touristin mit einem Rollköfferchen über die Pflastersteine des Grabens holpern. Den Heldenplatz verlassen wir durch sein Tor, um uns nach Mariahilf aufzumachen. Dort begegnet uns ein Minister, die Herrenhandtasche flott um die Schulter geschlagen, der wohl seinen weltlichen Erledigungen am Ballhausplatz nachzugehen hat, am Wochenende, während wir uns der Kirche St. Josef ob der Laimgrube zuwenden, und später der Pfarre St. Ägyd in Gumpendorf. Dort drinnen findet gerade die Frühmesse statt, und von hinten sieht man sieben weiße Köpfe in ihren Haarnetzen. Sie ist nicht gotisch, die Gumpendorfer Pfarrkirche, und ist in das fast dörfliche Ambiente des Kurt-Pint-Platzes eingebettet. Hier gemahnt uns die Auslage der Fleischererei Ringl, dass uns ohnehin keiner das vom Weltlichen abgewandte abnehmen würde So bewundern wie die Grobians, oberarm-dicke
Ringl-Knacker |
Unser Ziel ist jetzt Schönbrunn, wir überschreiten die Wien, erstmalig heute, auf Höhe der Meidlinger Hauptstraße und kommen am Fuße des Grünen Berges hinein in den Park des Schlosses. Kurz zum Taubenhaus, wo ein älterer Herr die Tauben füttert, die sich außerhalb der Voliere angesiedelt haben. Neben sich hat er feinsäuberlich sechs Säckchen mit Nüssen und Kernen aufgebaut, Georg Kreislers Taubenvergiften wird ihm wohl ein Gräuel oder unbekannt sein.
Ach, und dann die Gloriette. Heute heiratet niemand, es wär auch nicht das richtige Wetter, und uns zieht's zum Emu, der nicht unweit dahinter sein Gehege, außerhalb des Tierparks hat. Die unvermeidlichen Eichhörnchen berauben die Vogelhäuschen, und fast hätte ich einen Läufer umgerannt, weil ich zu intensiv das GPS betrachte. Besser einen Läufer als einen der gestressten Väter mit Kinderwägen, denke ich mir, Schönbrunn halt.
Sie sind überall. Auch in der Griepenkerlgasse. |
In der Griepenkerlgasse verweilen wir ein wenig, um uns einerseits nicht darüber einigen zu können, wie man "Griepenkerl" ausspricht, "Grie-penkerl" oder "Griepen-kerl", anderseits, um länglich über die Grausamkeiten des Weihnachtsschmuckes zu klagen. Während Wikipedia Anhaltspunkte zum ersteren Problem gibt, bleiben wir in der zweiteren Problemlage ohne Trost.
Maurer Perle. |
Die Maurer Lange Gasse ist seltsam. Einerseits parken hier die Jaguare mit ihren Wunschkennzeichen, die an vergangene, bessere, schwarze Zeiten gemahnen ("W-W1234"), in denen man noch auf das dreistellige Kennzeichen sparen konnte. Zu früh gealterte 30 Jährige fahren hier ihre Mercedes Kombis vor, nur um sich beim Aussteigen das Sportsakko gerade streichen zu müssen, das samstägliche. Andererseits blättern gleich neben dem renovierten Weinhauerhaus die Eternitschindeln vom Wohnturm. Ist noch ein Weg hin zur Döblingersier- und Verhietzingerung.
Die Kirche zur Heiligsten Dreifaltigkeit in Wien-Mauer steht nicht in Einzellage, aber fast, ist naturgemäß verschlossen und beeindruckend. Die Initiative zu ihrem Bau ging von Margarethe Ottillinger aus, einer der faszinierendsten Persönlichkeiten des Nachkriegsösterreich, und basiert auf einer Idee Fritz Wotrubas. Architekt war ein anderer. (Und ja, Meister Pilgram war auch nicht der einzige und erste Baumeister St. Stephans, aber mit W war keiner zu finden, der Alliteration im Titel wegen.)
Wotruba |
In die Weinberge, in Richtung des Lainzer Tiergartens, Wir folgen nun über weite Strecken der Mauer, die den Tiergarten umgibt, und genießen in der nächsten Stunde für uns ungewöhnliche Ausblicke auf die Stadt und das Wiener Becken. Vorbei am Tor, und wir wechseln zwischen Waldweg und Einfamilienhäusern. Im Gasthaus zum Lindwurm machen wir Rast, verweigern aber die Lindwurmplatte, und bedauern uns ein wenig wegen des heranziehenden Muskelkaters. Zum Wald gibt es wenig zu sagen, er ist nun blattlos, die Wege haben unter dem Regen der Vortage gelitten. Von flacher Topographie zu sprechen wäre falsch. Und die Eigenheime? Hier etwas zeitloses zu schaffen ist, glaube ich, eine der schwierigsten Aufgaben, vor der ArchtiektInnen stehen. Gott Sie Dank ist das Zeitalter der Säulen größtenteils vorbei, der Bungalowdächer, des Schmiedeeisens, der Fensterfaschen. Mit Wehmut mag man das Dahinschwinden der Glasbausteine sehen, der Panoramafenster und der Veranda. Aber halt, das Panoramafenster. Das wirklich große Fenster, das quasi einen Wandteil ersetzt, das ist im Kommen. Die Wanderer sind uneins, ob dies zu begrüßen ist: einerseits belebt es die Konjunktur - man wird wieder vermehrt Vorhangstoffe kaufen - andererseits ermöglicht es die Nabelschau durch die Nachbarn, die wohl nicht überall erwünscht ist. Der eine Wanderer stellt das Postulat in den Raum, das hohe, schmale Fenster, französische Fenster nun das Maß aller Dinge wären, der andere ist froh, dass ein gemeinsamer Fenster- und Vorhangkauf der Wandersleut' wohl nie in Frage kommen wird. So vergeht die Zeit, im Wiental möchten wir im übrigen beide nicht wohnen, und beim Bahnhof Hütteldorf überqueren wir nochmals den Fluss.
Wagner |
Durchs Heldentor hinein in die innere Stadt. Viele Fiaker sind unterwegs, die Punschstände sind gut gefüllt, kein Wunder, heute ist auch der erste kühlere Tag seit langem. Die Weihnachtsbeleuchtung leuchtet nicht, es muss Stromausfälle gegeben haben, und TouristInnen und WienerInnen steigen sich am Graben auf die Zehen.
Im Stephansdom ist gerade eine Messe zu Ende gegangen, der Weihrauch liegt noch in der Luft. "Weihrauch hat ja gar keine Psychoaktivität", raunt mit G zu, und wir einigen uns darauf, es heute mit Menthol und einem Vollbad zu versuchen.