Freitag, 26. Mai 2017

Nach Mordor, mit den Kinders


Ereignishaus Holzschlag - Plöckenstein - Dreisessel. 17 km, 650m Aufstieg
Christihimmelfahrt 2017. 17 km, 650m Höhenunterschied, 6 Stunden.

Eine Variante dieser Wanderung findet sich unter "Dem Mühlviertel aufs Dach gestiegen"



Seit Tagen bewirbt ein deutscher Privatsender sein Programm  am letzten Wochenende im Mai als "das beste zum Vatertag." Ich habe mich vielerorts erkundigt, die ÖsterreicherInnen feiern ihre Väter gar nicht im Mai. Aber Väter sind eigenartige Wesen und feiern die Feste so wie sie fallen. Ich zum Beispiel nutze dieses Wochenende, um mit meinen Söhnen G&T (7 und 11 Jahre) nach Mordor zu reisen.

Anstatt eines Vorworts eine Handreichung für Menschen, die der Tolkien-Welt entsagt haben

Mordor...verdorrtes, verfaultes Land der Dunkelheit
Orks....schreckliche Kreaturen, die Menschen essen
Das Auge Saurons...Sauron ist der dunkle Herrscher, der Chef von Mordor. Das Auge ist sein Überbleibsel, mit dem er Mordor überwacht
Das tänzelnde Pony...ein Gasthaus, nicht am Rande von Mordor, hier für uns schon

 

Mordor liegt im Böhmerwald

Von der Endstation der Mühkreisbahn in Aigen/Schlägl sind es noch 17km zu Fuß nach Holzschlag. Kein Wunder, dass wir gerne das familiäre Taxi nutzen und uns zum Ereignishaus in Holzschlag chauffieren lassen. Beim Stift in Schlägl machen wir Zwischenhalt und besuchen wieder einmal die Schlägler Kerzenwelt. Von den lebensgroßen Figuren ist nur mehr der Hans Moser übrig, als Dienstmann steht er hinter der Kassa. Schmerzlich wird der wachsene Papst Benedikt XVI. vermisst, der  der Welt des Kitsches im riesigen Shop einst gewissen Kontrast verlieh.

Im Gasthaus zum tänzelnden Pony in Holzschlag

Das Tourismushaus Holzschlag blickt auf eine bald hundertjährige Geschichte zurück. Es wurde in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts vom Stift Schlägl erbaut und bietet Wanderer, Skifahrer und Schulklassen Herberge. Ein einsamer Wanderer und wir sind heute die einzigen Gäste. Neben der Schank liegen einige Prospekte, alte Gästebücher und die Lebenserinnerungen einer ehemaligen Pächterin des Tourismushauses, die mit ihren Eltern und Geschwistern das Gasthaus bis kurz nach den 2. Weltkrieg bewirtschaftet hatte. Damals waren bis zu 90 Personen mittags hier zu Gast, und Holzschlag ein beliebter Ort für Sommerfrischler und Wintersportler, die aus Budweis, aus Linz und Passau hierherkamen. Das Stift hatte das Gasthaus mit einem eigenen Kraftwerk ausgestattet, es wurde eine Landwirtschaft betrieben, Brot gebacken, Hochzeiten gefeiert und im Erdkeller ein Jahresbedarf an Kartoffeln gehortet.  Welch ein Unterschied zur Abgeschiedenheit, die den Ort heute umgibt.



Entlang vom Klafferbach nach Norden

 Am Morgen, entlang des Klafferbaches, in Richtung Norden, sind die Themenkreise der Wandergruppe mannigfaltig. Gianluigi Buffon. Der Zahlenraum über 30. Meine Erlebnisse beim Spiel LASK gegen Rapid 1993 (?), mit F., als ich irrtümlich für einen LASK Fan gehalten worden war. Ein Bird of Prey der Klingonen enttarnt sich vor uns auf dem Forstweg. Mich verwundert im übrigen, wie viele doppelseitige Laserschwerter man im Böhmerwald auffinden kann, Adalbert Stifter hat dieses Motiv seinerzeit völlig außen vor gelassen. Wir diskutieren, warum Rapid in den Augen vieler OberösterreicherInnen keine unterstützenswerte Mannschaft ist. Ich versuche zu verstehen, warum der Zwerg Gimli gerade eine angesagte Figur aus dem Herr-der-Ringe-Universum ist (und scheitere). Die Talstation des Schleppliftes auf den Hochficht sieht aus wie das "Schwarze Tor", der Zugang nach Mordor (die einen), sieht nicht aus wie das "Schwarze Tor", der Zugang nach Mordor (die anderen). Die erste Stunde verfliegt, ohne dass jemand nachfragt, wie weit es noch sei, wie lange es noch dauerte oder wieviele Kilometer man noch gehen müsse.

Der Ork von heute


Je näher wir Mordor kommen, desto öfter treffen wir auf kleine Gruppen von Moutainbikern. Der Ork von heute ist der Mountainbiker, beschließen wir, und fürchten uns nicht. "Die Ära der Mennschheit ist vorrüber!" meint ein Ork-Hauptmann in der "Rückkehr des Königs". Wenn man sich die mitgenommenen Radfahrerinnen ansieht, die an uns vorbeiziehen (und -schieben), ist das Zeitalter der Mountainbiker definitiv noch nicht gekommen. Jetzt beginnen die Fragen nach der verbeibenden Dauer und der ausstehenden Weite. Nach mehr als zwei Stunden biegen wir vom Feldweg ab, hinauf zum borkenkäferzerfressenen Gipfel des Plöckensteins.

Das Auge Saurons

Viel haben wir in der letzten Stunde über Mordor im Böhmerwald gesprochen. Vom Sturm Kyrill im Jänner 2007, der hier im Böhmerwald gewütet hatte, und vom Borkenkäfer, der hernach den Bäumen zusetzte. Je weiter man zur böhmischen Grenze kommt, die am Kamm entlang des Plöckensteins verläuft, desto mehr Totholz ist zu sehen, die Wege sind ausgespült, überall nackter Granit,  und viele mächtige Bäume liegen entwurzelt am Wegesrand. "Papa, wann sind wir endlich in Mordor?" Ich hatte nicht zu viel versprochen, und wir steigen hinauf zum Plöckenstein. Kurz vor dem Gipfel kommt es zu ersten Meutereien. Man droht mir mit der ewigen Verdammnis und mit dem Enterben, wenn es noch weit bis zum Ziel sei (am Dreisessel-Schutzhaus, dort wo Oma und Opa mit dem Auto - und Omas Kühltasche warten), und mit letzter Kraft schleppen wir uns zum Gipfel. Das Auge Saurons dort ist das Gipfelkreuz,  was als etwas enttäuschend empfunden wird, und hier, an der tschechischen Grenze, machen wir Mittagsrast.


Expertenmeinungen zur Wanderung: Mehr Magma.

G, wie war die Wanderung?
Cool. Es war voll anstrengend. Mordor war klasse, und klar will ich wieder einmal wandern gehen. Aber nie wieder 17 Kilometer.

T, Deine Meinung zu Mordor?
Anstrengend, aber auch lustig. Besonders mein Bruder, weil er hin und wieder eine Mimose ist. Wann du mir das nächste mal sagst, wie weit es wirklich ist, gehe ich wieder mit. Um wirklich Mordor zu sein, bräuchte es dort mehr Magma.



 Zwischen Gondor, Rohan und Bruchtal

Hier am Nordwaldkamm, stoßen Österreich, Bayern und Tschechien zusammen. Wir diskutieren, ob es notwendig gewesen wäre, Pässe mitzunehmen, und erfreuen unseres Rechts auf Freizügigkeit, innerhalb Europas zwischen den Ländern herumzuhüpfen wie es uns gerade in den Sinn kommt. Der Weg ist beschwerlich, man springt von Stein zu Stein, und G+T haben ihre alte Frische wieder. Kein Knurren mehr, keine einzige Frage nach dem Rest des Weges. Uns begegnen tschechische Wanderer mit einem gebrochenen "Hallo", Bayrische mit einem "Servus" wie es sonst nur Old Shatterhand im Schuh des Manitou konnte, die OberösterreicherInnen mit einem mehr als schneidigen "Griasseng". Ein paar Bobos haben sich auch hier herauf verirrt, Bobos grüßen nicht. Der Weg vom Plöckenstein zum Dreisessel ist mit 2 1/2h nicht zu kurz angegeben, zur rechten Tschechien mit dem Plöckensteiner See, dem Stifter Obelisken, der Moldau, zur linken sieht man hinein ins Alpenvorland Österreichs und Bayerns.


Am Dreisessel

Endlich am Dreisessel angelangt werden wir noch Zeugen der bayrischen Staatsmeisterschaft im Bergfahren der Radfahrer/innen. Auch vor diesen bunt gekleideten Orks fürchten wir uns nicht. Die Söhne eines berühmten deutschen Schauspielers sind unter den Startern, und uns fällt partout sein Name nicht ein. Dr. Google, der sonst alles weiß, ist keine große Hilfe, denn "deutscher Schauspieler" und "große Nase" sind nicht hinreichend, um den guten Mann zu identifizieren. Es gibt verblüffend viele deutsche Schauspieler mit großer Nase. Jedenfalls zu jung, um den Liebhaber von Thekla Carola Wied zu geben und zu alt, um noch als jugendlicher Liebhaber besetzt zu werden. Dieses Rätsel bleibt ungelöst, und mit gefühlten 100 Orks verlassen wir wieder das Dreisessel-Schutzhaus.


Hernach 

Der deutsche Privatsender gibt am Abend die rechte und die linke Hand des Teufels (Enzo Barboni, Italien 1970). Eine Parabel über Geschwisterliebe, Zivilcourage und lange Unterhosen. Ein würdiger Abschluß des Tages.

Sonntag, 21. Mai 2017

After Work, auf die Reisalpe!


Hohenberg - Andersbachtal - Kashof - Stadler - Brennalm - Reisalpe Schutzhaus. 11 km, 970 Höhenmeter, 5 Stunden (laut Beschilderung auch in 3h machbar).
Reisalpe - Gscheidboden - Rotenstein - Klosteralm - Muckenkogel - Seilbahn - Lilienfeld. 16 km, 450 Höhenmeter, 6 Stunden.


Christbäume in Ottakring


Es ist Mitte Mai, und Ottakring erschüttert mich. Am Weg ins Büro entdecke ich am Straßenrand einen soeben entsorgten Christbaum, die meisten Äste sind feinsäuberlich abgesägt, und nur mehr einige wenige braune Nadeln hängen trostlos an ihm. Sein Kreuz hat er noch, der Christbaum, und so steht er aufrecht, aber nicht stolz am Gehsteig meiner Gasse.
Es fügt sich, dass ich an diesem Tage der Stadt und des Büros überdrüssig bin und einen Ausflug auf die Reisalpe geplant habe. Den Rucksack habe ich schon mit, die Stiefel sind geschnürt, noch sind einige Stunden dem österreichischen Wissenschaftssystem zu widmen, bevor ich ins Niederösterreichische entflüchte.


Einlullende Anstiege


Die Bahn bringt mich nach Sankt Pölten und anschließend nach Lilienfeld, der Bus weiter nach Hohenberg. Ins Creativdorf Hohenberg. Hier waren, an der Traisen, einst Hammer- und Gußwerke zu finden, und noch heute betreibt die voestalpine wenige Kilometer von hier die Gießerei Traisen. Mit dem Zug fährt man im übrigen durch das Gelände, und die aufgeräumte Verwahrlostheit des Werksgeländes steht im diametralen Gegensatz zum Hochtechnologie-Image ("hochwarmfeste Werkstoffe"), das mir die Homepage des Standortes vorgaukelt.



Entlang der Traisen, hier von einer Wehr aufgestaut, geht es am Denkmal des alten Hammerwerkes vorbei nach Norden. Hier begegnen mir noch einige Radfahrer, die mich dann in die Einsamkeit Andersbachtals entlassen. Es ist nicht mehr frühlingshaft, Sommer liegt in der Luft, und im Schatten, am Ufer des Baches, kann man ganz famos die Füße ins kalte Wasser strecken. Der Anstieg ist sanft, die Wiesen weit und menschenleer, und die Stadt entfällt mir rasch. Allerdings - der sanfte Anstieg ist trügerisch, ich bummle hier voreilig herum, denn nach etwa einer dreiviertel Stunde wird der Weg steil, viel steiler, und ich komme gehörig ins Schwitzen.

Man steigt in den Wald, und der Weg wird noch steiler. Dafür erhascht man dort und da Aussichten ins Tal, und blickt zufrieden auf das Geleistete. Ich muss gar oft rasten, und an einer dieser Raststationen verliere ich prompt meine schöne grüne Rogaska-Flasche, die  nachkommenden Wanderer werden in ihrem Vorgänger einen Schuft vermuten.

Grüne Hölle Andersbachtal

Fauna und Flora meinen es gut mit mir. Ein Reh, noch ein Reh, große Vögel (aus der Adler-Klasse, man nagle mich nicht fest), eine Schlüsselblume, ein blühender Apfelbaum, drei Ziegen, nur ein Hund. Der Wirt der Reisalpe erzählt mir dann später noch von Gemsen und Murmeltieren, und auch wenn ich dem Manne glaube, er hätte mir alles erzählen können, so froh war ich später, oben zu sein.



Der Ötscher ist nicht überall

Dann, wenn man nämlich glaubt, schon ganz nah am Gipfel zu sein, sind nämlich immer noch der eine oder andere Höhenmeter zurückzulegen, über zwei steile Wiesen unterhalb des Gipfels. Wendet man seinem Ziel aber den Rücken zu, so wird man mit tollen Aussichten in Richtung Schneeberg, Gemeindealpe, bis hin zum Großen Priel entlohnt. An dieser Stelle sei angemerkt, dass ich mir abgewöhnen muss, in jedem markanten Berggipfel den Ötscher zu sehen. Der Ötscher ist nicht überall.
Und endlich komme ich an, es ist knapp vor acht Uhr, und ich bin der einzige Gast, der an diesem Abend im Reisalpenschutzhaus nächtigen wird. Ich habe noch Zeit, den Sonnenuntergang und die grandiose Aussicht zu bewundern und lasse mir den kühlen Abendwind um die Nase pfeifen.  Knödel und Kraut. Und Nutellaschnitte. Ich hasse Nutella, aber die Schnitte war die beste Nutellaschnitte die man sich nur vorstellen kann.


Banzai!

30 verschiedene Wege und Steige  führen, so der Wirt, auf die Reisalpe. Ich wähle den, der mich nach Lilienfeld zum Zug führen wird. Ganz früh am Morgen allerdings nicht, erst um Sieben, und ich habe den Eindruck, dass mein Gastgeber nicht unglücklich ist, dass ich es nicht übertreibe mit dem Aufstehen. An diesem Tage bekommt die Hütte noch dazu zwei neue Mitbewohner - zwei Katzen, die von der herkulischen Aufgabe stehen werden, den Mäusen der Reisalpe den Kampf anzusagen. Banzai! möchte ich ihnen zum Abschied zurufen.

Reismäuer


Ich umwandere die Reismäuer (dort, wo die Gemsen zu Hause sind) und folge dem gestrigen Weg in Richtung Brennalm, um vorher auf einen wohl neu angelegten Forstweg hinunter zum Gscheidboden zu gelangen. Von hier geht es wieder durch den Wald, recht spektakulär, bergauf. Spektakulär sind nicht die Aussichten, sondern eher der wenig begangene Steig, eine Variante des Weitwanderweges 04, der mich hinauf in Richtung Muckenkogel führen wird.


Wo sind sie, die Nuri meiner Jugend.

Zwischenzeitlich mache ich auf einer Wiese Mittagsrast, im Rucksack habe ich noch Feigen und scharfe Fischdosen, die Feigen helfen, die Schärfe der Fische zu bändigen, kulinarisch schlüssig ist das natürlich nicht. Nochdazu sind die Dosen keine Nuri. Nuri sind ja seit bald 9 Jahrzehnten der Inbegriff für portugiesische Ölsardinen, quasi ein Synonym für Qualität.   Ach, Fischdose meiner Jugend....aber bevor ich mir zu viele Gedanken darüber mache, was portugiesische Sardinen in den niederösterreichischen Bergen verloren haben, mache ich mich in Richtung Klosteralm auf. Ein einsames Vergnügen, ich begegne den ganzen Vormittag nur einem eiligen Wanderer.

Auf der Alm beschließe ich, den Sessellift ins Tal zu nehmen,  und schaukle müde gen Lilienfeld. Bleibt noch einiges für das nächste mal am "Orchideenberg" (ich verfolge die Bemühungen des örtlichen Tourismusvereins genau: der 5-Klöster-Blick vom Muckenkogel, die 1202 gegründete Zistizienzerabteil Lilienfeld ("zur Ehre Gottes und zur Ehre der heiligen Gottesgebärerin Maria"), die Michi-Dorfmeister-Gedächtnis-Hauptschischule, das Museum des Skipioniers Mathias Zdarsky. Der war übrigens in Trebic geboren und schon der Vater des Wedelns wäre ein Deutscher gewesen, sagt mein Kollege F., aber das ist eine andere Geschichte.


Füße in Traisen


Sonntag, 22. November 2015

Pilgram. Wagner. Wotruba.

Stephansdom - Heldenplatz - Mariahilf - Fünfhaus - Meidling - Schloß Schönbrunn - Gloriette (238m) - Rosenhügel - Mauer - Wotruba Kirche - Lainzer Tor - Friedensstadt - Hörndlwald - St. Veiter Tor - Hacking - Hütteldorf - Baumgartner Höhe - Otto Wagner Kirche (328m) - Stachant - Thaliastraße - Lärchenfelderstraße - Heldentor - Stephansdom (171m)

Mariä Opferung, 21. 11. 2015, 12 Stunden, 36,5 km, 901 Höhenmeter (aufsteigend)




In der Früh, kurz nach Sieben, ist der Stephansdom noch nicht vom Weihrauch erfüllt, und eine Schar WienerInnen hat sich vor dem Hauptaltar zu Laudes und Frühmesse versammelt. Das Betreuungsverhältnis ist gut, und das Domkapitel von St. Stephan erzählt vom Gedenktag "Unsere Liebe Frau in Jerusalem" (oder auch Mariä Opferung).
Die gotischen sind uns schon die liebsten, stellen Kollege G. und ich fest, als wir später den Dom verlassen, um uns auf den Weg zu machen. Das heilige Wiener Dreieck sollte es diesesmal sein, der Steffl in der inneren Stadt, die Wotrubakirche in Mauer, die Wagnerianische in Ottakring, und dann wieder der Steffl.

Die Stadt ist noch recht leer, hoch hängen die drohenden Vorboten des Weihnachtsgeschäftes, die Girlanden und hässlichen Kronleuchter, ab und an sieht man eine suchende Touristin mit einem Rollköfferchen über die Pflastersteine des Grabens holpern. Den Heldenplatz verlassen wir durch sein Tor, um uns nach Mariahilf aufzumachen. Dort begegnet uns ein Minister, die Herrenhandtasche flott um die Schulter geschlagen, der wohl seinen weltlichen Erledigungen am Ballhausplatz nachzugehen hat, am Wochenende, während wir uns der Kirche St. Josef ob der Laimgrube zuwenden, und später der Pfarre St. Ägyd in Gumpendorf. Dort drinnen findet gerade die Frühmesse statt, und von hinten sieht man sieben weiße Köpfe in ihren Haarnetzen. Sie ist nicht gotisch, die Gumpendorfer Pfarrkirche, und ist in das fast dörfliche Ambiente des Kurt-Pint-Platzes eingebettet. Hier gemahnt uns die Auslage der Fleischererei Ringl, dass uns ohnehin keiner das vom Weltlichen abgewandte abnehmen würde So bewundern wie die Grobians, oberarm-dicke
Ringl-Knacker
Dauerwürste, die die Auslage zieren. Die Leberkäs-Theke macht den oberösterreichischen Leberkäs-Invasoren (Pepis) in sich ruhende Konkurrenz. Weiter, über den Gürtel, nach Fünfhaus hinein, bemerken wir, nicht zum letzen mal, wie radikal die Stadt sich über Bezirksgrenzen hinweg verändern kann, obwohl natürlich auch in Mariahilf nicht alles gülden glänzt, das Arik Brauer Haus viel Patina angesetzt hat (Baujahr 1990), und eine Reihe Geschäfte leer stehen. 

Unser Ziel ist jetzt Schönbrunn, wir überschreiten die Wien, erstmalig heute, auf Höhe der Meidlinger Hauptstraße und  kommen am Fuße des Grünen Berges hinein in den Park des Schlosses. Kurz zum Taubenhaus, wo ein älterer Herr die Tauben füttert, die sich außerhalb der Voliere angesiedelt haben. Neben sich hat er feinsäuberlich sechs Säckchen mit Nüssen und Kernen aufgebaut, Georg Kreislers Taubenvergiften wird ihm wohl ein Gräuel oder unbekannt sein.



Ach, und dann die Gloriette. Heute heiratet niemand, es wär auch nicht das richtige Wetter, und uns zieht's zum Emu, der nicht unweit dahinter sein Gehege, außerhalb des Tierparks hat. Die unvermeidlichen Eichhörnchen berauben die Vogelhäuschen, und fast hätte ich einen Läufer umgerannt, weil ich zu intensiv das GPS betrachte. Besser einen Läufer als einen der gestressten Väter mit Kinderwägen, denke ich mir, Schönbrunn halt.
Sie sind überall. Auch in der Griepenkerlgasse.
Dann über die Gleise der S60, der Ostbahn, mit der mal einmal in der Stunde von Hüttldorf nach Bruck an der Leitha reisen könnte (wer will das schon), zwischen 12. und 13. Bezirk in Richtung Mauer, dem 23. Die Gemeindebauten hören auf, und wir bewegen uns, unter anderem am Rosenhügel, durch Eigenheimträume aus unterschiedlichen Epochen. 
In der Griepenkerlgasse verweilen wir ein wenig, um uns einerseits nicht darüber einigen zu können, wie man "Griepenkerl" ausspricht, "Grie-penkerl" oder "Griepen-kerl", anderseits, um länglich über die Grausamkeiten des Weihnachtsschmuckes zu klagen. Während Wikipedia Anhaltspunkte zum ersteren Problem gibt, bleiben wir in der zweiteren Problemlage ohne Trost.


Maurer Perle.

Die Maurer Lange Gasse ist seltsam. Einerseits parken hier die Jaguare mit ihren Wunschkennzeichen, die an vergangene, bessere, schwarze Zeiten gemahnen ("W-W1234"),  in denen man noch auf das dreistellige Kennzeichen sparen konnte. Zu früh gealterte 30 Jährige fahren hier ihre Mercedes Kombis vor, nur um sich beim Aussteigen das Sportsakko gerade streichen zu müssen, das samstägliche. Andererseits blättern gleich neben dem renovierten Weinhauerhaus die Eternitschindeln vom Wohnturm. Ist noch ein Weg hin zur Döblingersier- und Verhietzingerung. 

Die Kirche zur Heiligsten Dreifaltigkeit in Wien-Mauer steht nicht in Einzellage, aber fast, ist naturgemäß verschlossen und beeindruckend. Die Initiative zu ihrem Bau ging von Margarethe Ottillinger aus, einer der faszinierendsten Persönlichkeiten des Nachkriegsösterreich, und basiert auf einer Idee Fritz Wotrubas. Architekt war ein anderer. (Und ja, Meister Pilgram war auch nicht der einzige und erste Baumeister St. Stephans, aber mit W war keiner zu finden, der Alliteration im Titel wegen.)
Wotruba

In die Weinberge, in Richtung des Lainzer Tiergartens, Wir folgen nun über weite Strecken der Mauer, die den Tiergarten umgibt, und genießen in der nächsten Stunde für uns ungewöhnliche Ausblicke auf die Stadt und das Wiener Becken. Vorbei am Tor, und wir wechseln zwischen Waldweg und Einfamilienhäusern. Im Gasthaus zum Lindwurm machen wir Rast, verweigern aber die Lindwurmplatte, und bedauern uns ein wenig wegen des heranziehenden Muskelkaters. Zum Wald gibt es wenig zu sagen, er ist nun blattlos, die Wege haben unter dem Regen der Vortage gelitten. Von flacher Topographie zu sprechen wäre falsch. Und die Eigenheime? Hier etwas zeitloses zu schaffen ist, glaube ich, eine der schwierigsten Aufgaben, vor der ArchtiektInnen stehen. Gott Sie Dank ist das Zeitalter der Säulen größtenteils vorbei, der Bungalowdächer, des Schmiedeeisens, der Fensterfaschen. Mit Wehmut mag man das Dahinschwinden der Glasbausteine sehen, der Panoramafenster und der Veranda. Aber halt, das Panoramafenster. Das wirklich große Fenster, das quasi einen Wandteil ersetzt, das ist im Kommen. Die Wanderer sind uneins, ob dies zu begrüßen ist: einerseits belebt es die Konjunktur - man wird wieder vermehrt Vorhangstoffe kaufen - andererseits ermöglicht es die Nabelschau durch die Nachbarn, die wohl nicht überall erwünscht ist. Der eine Wanderer stellt das Postulat in den Raum, das hohe, schmale Fenster, französische Fenster nun das Maß aller Dinge wären, der andere ist froh, dass ein gemeinsamer Fenster- und Vorhangkauf der Wandersleut' wohl nie in Frage kommen wird. So vergeht die Zeit, im Wiental möchten wir im übrigen beide nicht wohnen, und beim Bahnhof Hütteldorf überqueren wir nochmals den Fluss.


Wagner
Und ja, man muss zugeben, jetzt werden die Gespräche weniger, jedoch nicht weniger der mangelnden Themen wegen. Die Ermattung macht sich breit. Vorbei am Dehnepark. Durch die Pavillons der Baumgartner Höhe. Hinein in die Otto-Wagner-Kirche. Aus Bergottakring wird Talottakring, und wir gehen raschen Schritts die Thaliastraße hinunter. In der Thaliastraße wechseln Imbisse, Handyshops und Damenmodengeschäfte in rascher Folge, ein Bestattungsunternehmen und ein Farbengeschäft lockern auf. Hier kann man noch günstig Abendkleider kaufen, die Auswahl an Pizaaschnitten mit Mais ist riesig, nur der Brautmodenhaus Vondrou ist von hier in den ersten Bezirk gezogen. In der Lärchenfelder Straße dann werden die Karten neu gemischt, hier läßt Bobostan grüßen und eine reichliche Restaurantszene. 

Durchs Heldentor hinein in die innere Stadt. Viele Fiaker sind unterwegs, die Punschstände sind gut gefüllt, kein Wunder, heute ist auch der erste kühlere Tag seit langem. Die Weihnachtsbeleuchtung leuchtet nicht, es muss Stromausfälle gegeben haben, und TouristInnen und WienerInnen steigen sich am Graben auf die Zehen. 




Im Stephansdom ist gerade eine Messe zu Ende gegangen, der Weihrauch liegt noch in der Luft. "Weihrauch hat ja gar keine Psychoaktivität", raunt mit G zu, und wir einigen uns darauf, es heute mit Menthol und einem Vollbad zu versuchen.

Sonntag, 7. Juni 2015

Dem Mühlviertel aufs Dach gestiegen

04.06.2015 - 07.06.2015. Auf Stifters Spuren via Schlägl und Klaffer nach Holzschlag, auf den Dreisessel und den Plöckenstein. Ein Fronleichnamsausflug.

„Meine ganze Seele hängt an dieser Gegend“

Hartauer, Alexander, Böhmen! Stifter.

Ich bin wegen Andreas Hartauer hier, nicht nur wegen Adalbert Stifter. Wegen Hartauer und Peter Alexander, um genauer zu sein. 
Zu meinen frühesten Kindheitserinnerungen gehört meine Dauerbeschallung mit der oberösterreichischen Version des österreichischen Regionalradios. Neben den üblichen Schäden ist mir davon eine gewisse Textsicherheit in den Schlagern der 70iger  im allgemeinen geblieben und die Erinnerung an zwei "böhmische" Gassenhauer im speziellen. Dank Peter Alexander ("Wie Behmen noch bei Öst'rreich war") weiß ich nun, dass sich "Prag" auf "Katholikentag" reimt; Andreas Hartauer war ein sentimentaler Glasbläser des 19. Jahrhunderts, der im Böhmerwald aufgewachsen war und sich später in St. Pölten ansiedelte. Dieses triste Schicksal hat wohl maßgeblich zur Verklärung der Jugendzeit beigetragen, er hinterließ uns das "Böhmerwaldlied" (hier interpretiert von der unvergleichlichen, zu früh verstorbenen Lolita)

Wegen dem Adalbert Stifter bin ich schon auch da. An seiner - nicht an meiner - Seele hängt ja diese Gegend. Es geht in seinen "Hochwald" "zu jenem Gränzknoten, wo das Oesterreichische Land mit Baiern und Böhmen zusammenstößt". Dort schieße "ein mächtiges Gewimmel mächtiger Joche und Rücken gegen einander" und im Waldesblau klitzerten "wogendes Hügelland und strömende Bäche".

Vom Dreisessel zum Plöckenstein


Mit der moralischen Überlegenheit von VegetarierInnen ist es nicht weit her

Bevor ich meinen Weg auf das Dach des Mühlviertels beginne, wird in Aigen (das erst vor kurzem mit Schlägl zu einem Gemeindeverbund zusammengelegt wurde) im Bärnsteinhof (ein "Kleinod der Gastlichkeit") zu Mittag gespeist. Die Karte dort ist nicht sehr mühlviertlerisch - kein Wunder, der Bärnsteinhof ist ein "Kräuterhotel". Keine Spur von meinem geliebten Leberschädl, keine Spur einer Beuschlsuppe. Die Küche ist dennoch ausgezeichnet, alles ist knackig, frisch und selbstgemacht. Am Nebentisch zeigt sich ein RadfahrerInnenehepaar (Elektro) über das (in der Tat) reichhaltige vegetarische Angebot begeistert. Man diskutiert, was man essen solle.

Er: "Das Kohlrabi-Carpaccio, ist das mit Fleisch?"
Sie: "I glaub net."
[Pause]
Er: "Ess I trotzdem net."
[Pause]
Er: "Spargelrisotto. Is des mit Nudeln?
Ein oberösterreichischer Vegetarier von Welt.

Am Weg nach Holzschlag

Donnertag, 04.06. 2015. Fronleichnam. Aigen - Schlägl (544m) - Ulrichsberg - Klaffer (638m) - Pfaffetschlag (670m) - Holzschlag (863m). 24 km, 561 Höhenmeter

Der Papst und ich

Ich beginne die Wandertage in der Kerzenwelt Schlägl, einem "Museum" mit riesigen Verkaufsflächen. Das Geschäft ist ein Hort des guten Geschmacks. Im Museum wird eine Figur des emeritierten Bayernpapstes (Papst Franz wird wohl noch in Produktion sein) aus-, das letzte Abendmahl wird mit lebensgroßen Wachsfiguren nachgestellt. Drei der Jünger Jesu scheinen uneheliches Geschwister der Conchita Wurst zu sein, und die Hände aller 13 Wachsfiguren sind ähnlich feingliedrig wie die von gerade in Pension gehenden Waldarbeitern.
Die Mühl
Hernach geht es entlang der Mühl, in großer Hitze, in Richtung Ulrichsberg und Klaffer. Noch in Schlägl vergnügt sich die Jugend im Freibad. Ich widerstehe der Versuchung. Zwar hatte ich Wien-Ottakring zu einer Zeit verlassen, zu der die Straßenbahnen noch im 17-Minuten-Takt fuhren, doch die Mühlkreisbahn, die mich von Linz nach Schlägl bringt, ist kein Expresszug und kämpf noch dazu von Station zu Station mit defekten Türen. Es ist schon spät.
Der Weg entlang der Mühl ist so, wie man sich Wege entlang von kleinen Flüssen und Bächen vorstellt: beschaulich und unaufgeregt, untermalt vom leisen Plätschern des Wassers, da und dort eine Wehr, viel Grün. Schön. Menschen treffe ich kaum, nur knapp nach Schlägl kommt mir eine Mühlviertlerin in Sportkleidung unter einem blauen Schirm entgegen, was mich bei strahlendem Sonnenschein doch überrascht, wir sind nicht in Nippon. Und vor Ulrichsberg durchkämmen zwei Herren in Untergatten die Mühl, etwas was ich tunlichst nicht hinterfrage.
In Ulrichberg selbst mache ich Rast.  Jeder Niederbayer mittleren Alters, der auf sich hält und ein Motorrad besitzt, tut dies heute auch. Gott sei Dank gibt es in Ulrichsberg vier Kaffeehäuser. Das Ulrichsberger Enthaarungsstudio "Energethik" hat am Feiertag naturgemäß geschlossen.
Weiter, in Richtung Klaffer. Hier bemerke ich erstmals in der Ferne den kahlen Bergrücken zwischen Dreisessel und Plöckenstein. Ich versuche die Straße bald zu verlassen und folge einem Weg, gerahmt von verwitterten Schautafeln einer Ausstellung aus 2005. Nach Klaffer komme ich über den Kräutergarten des Ortes ("Kräutergemeinde Klaffer"), vorbei an der Kirche, die, genauso wie die Hauptstraße, noch mit Birken geschmückt ist - es ist ja Fronleichnam, am Vormittag war Prozession. Dort bei der Kirche bemerke ich: In Klaffer trägt man noch Kropf.
Die Holzwirtschaft ist eine tragende Säule.

Beim örtlichen Wirten mache ich halt, und mein Glauben, die oberösterreichischen Dialekte gut aktiv und passiv  zu beherrschen, wird empfindlich erschüttert. Ich bestelle Soda Zitrone - und bekomme Cola-Leitung. Der Wirt bringt gerade seine Sommerbar - quasi ein sommerliches Apres-Ski-Schwammerl - in Schwung, und zwei Herren sind dort noch von der vormittäglichen Feier der leiblichen Gegenwart Jesu Christi im Sakrament der Eucharistie übrig geblieben, der jüngere von ihnen in der Ausgangsuniform des oberösterreichischen Kameradschaftsbundes OÖKB. Ich frage mich ja, ob der OÖKB eine ähnliche Karriereschmiede ist wie der Cartellverband, jedenfalls haben beide ähnliche Frauenquoten. Aber das führte wohl zu weit.
Ich erkundige mich nach dem Weg nach Holzschlag, und der Herr ohne OÖKB-Uniform erklärt beredt. Ich bin dankbar, dass der Wirt mir übersetzt. Beim Gehen sitzt der junge Herr in OÖKB-Uniform an einem Tisch mit Neo-ÖsterreicherInnen und erzählt von seiner schweren Kindheit in Amerika.... Er könnte natürlich auch etwas völlig anderes erzählt haben, meinen Kenntnissen des Oberösterreichischen würde ich, gerade in Klaffer, nicht mehr trauen. Nach Pfaffetschlag geht es dann beständig bergauf, der Straße entlang. Ein sehr freundlicher Klafferer nimmt mich den letzten Kilometer mit seinem Jeep mit, was ich mehr als dankbar annehme.

Dreisessel

05.06.2015. Holzschlag (863m) - Grenzübergang I/10 Zollhütte (1003m) - Grenzübergang Bayern-Österreich (1153m) - Steinernes Meer - Dreisesselberg-Schutzhaus - Bayrischer Plöckenstein (1364m) - Dreieckmark (1321m) - Plöckenstein (1379m) - Grenzübergang I/10 - Gasthaus zum Überleben (944m) - Holzschlag (863m). 26 km,  950 Höhenmeter

Frühmorgens gehe ich los, eine leicht ansteigende Forststraße entlang, hinauf zur Grenze, vorbei an den Aufstiegshilfen des Skigebietes am Hochficht. Am ehemaligen Zollhaus wende ich mich westwärts, und weiter geht's, bergauf. Irgendwann verlässt man dann die Forststraße, und ich folge der recht eindeutigen, weil einmal nicht einfallslos rot-weiß-gestreiften Wegmarkierung des Nordwallkammweges, der den Dreisessel mit dem Nebelberg verbindet. So eindeutig blau-weiß die Markierung ist, so wenig scheint der Weg begangen zu sein; man stapft durch Wiesen voll Heidelbeersträuchen und zwittriger Krähenbeeren in Richtung Deutschland. Passt man nicht auf, versinkt man da und dort in nassen Wiesen.

Die Landschaft, entstiftert.


An der deutschen Grenze ändert sich der Zustand des Weges, man steigt im wahrsten Sinne des Wortes über mächtige Steinblöcke durch das "Steinerne Meer": Granit, zum Teil mit grüner Flechte bewachsen, eine eindrückliche Landschaft. Hier werden die grauen Baumleichen, die den Dreisessel und dann den Plöckenstein prägen, immer mehr. 
Begonnen hatte es mit Fichtenmonokulturen. Die Glasindustrie der Region des 18. und 19. Jhdts., auch die in Schlägl und Schwarzenberg, brauchte Unmengen Brennholz, man setzte auf schnellwachsende Gehölzer, eben die Fichte. Dann kam im 20. Jahrhundert der saure Regen (Emissionen aus der Ruhrregion), der dem Wald zusetzte. Schneebruch, und kurz darauf der Sturm Kyrill 2007 taten das ihre, der Borkenkäfer in weiterer Folge das seine. Die Naturparkregionen in Bayern und Tschechien (Nationalpark Šumava) entschlossen sich in weiterer Folge, die Natur hier ForstwirtIn sein zu lassen und ließen das Holz liegen. Noch heute, bald 10 Jahre später ist man geneigt, die Landschaft hier mit einer Mondlandschaft zu vergleichen.

Hie Österreich, dort Tschechien, in der Mitte der Grenzweg.

Wohin man schaut Totholz, und nur zaghaft wachsen hier und da Nadelbäume nach - und etwas, was ich für Vogelbeersträucher halte. Kyrill und der Borkenkäfer haben die Landschaft hier entmystifiziert - "entstiftert", wenn man so will, und so mancher Ausblick hier rührt den Industrieromantiker in mir. So gnießt man hier den Fernblick ins Böhmische, zur Moldau, und nach Schwarzenberg und in Richtung Schlägl, während sich die Menschen dort unten noch heute vor dem "scharfen Wind von de Beehm"  fürchten.

Jessica

Ich wohne im Ereignishaus Holzschlag, einem Haus "in Einzellage", das wohl am besten als Jugendherberge zu bezeichnen ist. Es hat 66 Betten, und ist auf Gruppenreisen ausgerichtet. Zu Fronleichnam 2015 bin ich der einzige Gast. Gemeinsam mit dem tollen Gasthaus Überleben, das etwa 20 Minuten entfernt ist, wird es vom Stift Schlägl betrieben. Hier ist's geruhsam, still, ruhig ("Einzellage"!), für WandererInnen ist es eine tolle Unterkunft, freundliche Wirtleute, extrem sauber, günstig. Das Ereignishaus liegt am Ende eines Tales, das in Richtung Tschechien führt, nicht unweit des Klafferbaches. Hier ist weit und breit kein anderes Haus zu sehen, von meinem Zimmer aus sehe ich ein Meer von Bäumen und die Lupinienwiese vor dem Haus, sonst nichts. Einschicht.
Der einzige Gast. Einsamkeit, Stille. Abends lässt mich die Wirtin alleine, und ich genieße die Sonne, in absoluter Stille. Es ist schon spät, ich lese bei offenen Fenster noch einige Seiten (Krimi, nicht Stifter) als ich plötzlich von draussen eine männliche Stimme "Jessica, bist du da??" rufen höre. Eine aufgebrachte Wiener Stimme. Gut, dass ich nicht Jessica bin, und am nächsten Tag ist's vergessen.

Am Dach des Mühlviertels

Gipfel.

Im Schutzhaus am Dreisesselberg kehre ich kurz ein, und dann gilt es den Weg in Richtung des Dachs des Mühlviertels, des Plöckensteins (1.370 Meter) einzuschlagen. Man geht den Weg, den man zuvor knapp unter dem Grat bestiegen hat, am Grat zurück in Richtung Osten. Blauer Himmel, die Sonne sengt. Hi und da hat uns der Granit seltsame Felsformationen hinterlassen, und staunend kommt man zum Dreiländereck Deutschland - Österreich - Tschechien, die Dreiecksmark.

Hier am Rastplatz feiert eine Nürnberger Großfamilie gerade die goldene Hochzeit von "Omma" und "Oppa". Am Gaskocher grillt man Schweinebauch, den man auf dem vor Marinade triefenden Papier, in das der rohe Bauch vom Fleischhacker eingewickelt worden war, verzehrt. Oppa hat gepatzt und Omma wischt indigniert vor ihm auf dem Steintisch herum. Und wischt und wischt während der ganzen Rast, die ich dort einlege. Eine Ehe wie im Bilderbuch.
Wieder bergauf, zum Plöckenstein, eigentlich ein billiger Gipfelsieg. Nicht für mich, ich quäle mich in der Hitze sichtlich, und eine entgegenkommende Bayerin ruft mir "Is eh nimma weit!" nach. Der Plöckenstein ist der Dachstein des Mühlviertels, der Großglockner des Nordens, der K2 des Böhmerwaldes. Das ist schon ein silbernes Gipfelkreuz wert.
Ich biege nicht, so wie geplant, in Richtung See ab, sondern gehe den Grenzweg entlang, genauer gesagt, ich plage mich den Grenzweg hinunter in Richtung Grenzstation. Von da sind es noch 40 Minuten ins Gasthaus zum Überleben, welch schöner Name.

-schlag

Amesschlag. Berdetsschlag. Dietrichsschlag. Eberhardsschlag. Fraunschlag. Geierschlag. Hengstschlag. Innerschlag. Jungschlag. Kollerschlag. Leopoldsschlag. Mitternschlag. Neuschlag. Oberwaldschlag. Pfaffenschlaghäuseln.  Riemetsschlag. Sauschlag. Thurnerschlag. Ulrichschlag. Vorderkönigsschlag. Weigetschlag.

Der See, die "steinerne Träne"

Samstag, 06.06. 2015. Holzschlag  (863m) - Grenzstation I/10 (1003m) - Imbisskiosk Sestak / Hirschröhren (881m) - Plöckensteiner See (1078m) - Adalbert-Stifter-Obelisk (1273m) Plöckenstein  (1379m) - Grenzstation I/10 - Gasthaus zum Überleben - Holzschlag. 24 km, 660 Höhenmeter

Plešné jezero

Am zweiten Tag verschlafe ich und komme erst um sechs Uhr aus den Federn. Beim Überprüfen meines GPS - Gerätes blicke ich beglückt auf die gestrigen Tageskilometer: Über vierzig! Das erklärt natürlich neun Stunden komatösen Schlafes. Als ich wenig später realisiere, dass auch Unfehlbares (Garmin) fehlbar ist, es niemals vierzig Kilometer haben sein können, bin ich zwar pikiert, nehme es meinem GPS aber nicht gram. Oh Garmin Oregon, zu sehr bist du mir ans Herz (besser, an die Schulter) gewachsen!

Die Brenessel des Böhmerwaldes

Der selbe Weg wie gestern, hinauf zur Grenzstation. Ich bewundere die Lupinien, die blauen, die hier überall am Wegesrand wachsen. Die Lupinie ist die Brenessel des Böhmerwaldes. Am tschechischen Teil des Weges bekommt der örtliche tschechische Rettungsdienst beinahe Arbeit mit mir. Er kann mir, dem Wanderer, nämlich nur mit Mühe mit seinem Rettungs-Jeep ausweichen, auch TschechInnen können Kurven zu eng nehmen. Auf Asphalt geht's bergab bis zur Imbisstube Hirschröhren. Stifter hatte recht, hier in der Nähe des Sees ist es immer windstill, zur linken und rechten Seite des Weges wird fleißig aufgeforstet, hier keimen gesunde Fichten. Schließlich geht es in den Wald hinein, bergauf, durch ein nicht immer trockenes Bachbett. Gibt es das, ein "feuchtes Bachbett"?
Auf der Freyung in Wien gibt es eine Stelle, auf der mittelalterlicher Straßenbelag freigelegt ist. Im Mittelalter hielt man nichts von ebenen Wegen. Das soll nicht als Kritik an den PflastererInnen des Mittelalters missverstanden werden, nur fühle ich mich an eben diese Stelle auf der Freyung erinnert, als ich die letzen paar 100 Meter zum See ersteige. Bis hierher herunter hatte sich der Borkenkäfer durchgefressen (oder frisst sich noch durch), der Blick auf die morschen Bäume ist zum Teil spektakulär. Hie und da ein Blick auf die sanften böhmischen Hügeln im Norden, der ohne den Käfer nicht möglich wäre. Und schließlich der See, der Plöckensteiner See.

Stifter würde sich im Grab umdrehen

Seien wir uns ehrlich, Stifter ist nach heutigen Maßstäben als gefühlsduseliger Kitschomane zu bezeichnen: "An deinen Angern ist der Herzschlag des Waldes", schreibt er über den See, die "steinerne Träne".  Junge, Junge.
Das Wasser des Sees ist rötlich und dunkel, die Felsen am Ufer mit roten Flechten bewachsen. Das besondere an diesem Ort ist aber nicht der See selbst, es ist der halbrunde Kessel, in dem er liegt. Gegen Süden hin fällt die Wand des Plöckensteins nämlich steil zum Wasser hinab, einige Wenige Bäume am Ufer sind gesund, die restlichen sind Totholz, die zum Teil ins Wasser gefallen sind und, gegen Osten, ist das Ufer weiträumig von Stämmen bedeckt, die wie ein Berg unordentlicher grauer Mikado-Stäbchen hier verteilt sind. Nichts erinnert hier an das "dichte, ernste Fichtenbande" aus der Beschreibung Stifters, obwohl auch die "ästelosen Urstämme", die "altertümlichen Säulen" als die grauen Stocher des Heute gelesen werden könnten. Jedenfalls, der Stifter würde sich im sprichwörtlichen Grab umdrehen.
An der dem Plöckenstein gegenüberliegenden Seite des Sees führt ein Radweg vorbei, hier ist ein Rastplatz mit einigen Tischen, In der kommunistischen Zeit war hier eine Baracke für Grenzsoldaten, noch früher eine Schutzhütte - nichts erinnert mehr an die Gebäude, außer einiger Photos auf einer Schautafel.
Im Hochparterre des naturhistorischen Museums in Wien hat man vor mehr als 100 Jahren die schönsten Plätze der Monarchie verewigt: Den Erzberg, das Salzbergwerk von Wieliczka, den Triestiner Karst, der Fischsee in der Tatra, Südtirol. Und eben den Plöckensteiner See durch die Hand Adolph Obermüllners. Doch, zu Recht.





Tödliche Schwärme

Der See scheint den TschechInnen wichtig zu sein, ein Aufseher des hiesigen Nationalparkes, in Uniform und kurzen Hosen, patrouilliert die 100, 200 Meter des Nordufers auf und ab, auf und ab. Wir sind beide vom mächtigen Summen eines riesigen Bienenschwarmes mehr als beeindruckt, der bedächtig den See entlang schwebt. Wie überhaupt scheinbar jeder Schritt hier vom Summen und Schwirren von Bienen und ähnlichem Getier begleitet ist. Am Anfang hielt ich dieses beständige Hintergrundgeräusch noch für eine Starkstromleitung - aber wo keine Leitung, da kein Starkstrom. Dann glaubte ich kurz an defekte elektrische Motorsägen - aber wo keine Sägen, da kein Motorendefekt. Der Plöckenstein ist Insektenland, zweifelsohne, und ich bin froh, dass an diesem langen Wochenende kein Thementag zu Killerbienen auf Tele5 angesetzt ist. Gerade Tele5 ist berüchtigt für einschlägige Thementage (Killerhaie, Godzilla, Schlachtfeste der Giganten) und Tele5 ist der einzige Sender, den ich am Fernseher im Fernsehraum meiner Jugendherberge in Gang zu bringen vermag. Was weiß ich, "Angriff der Killerbienen II", "Tödlicher Schwarm", "Mutanten-Maja vs. MechaGodzilla", das Genre könnte schon abendfüllendes hergeben. Im übrigen hat Stifter doch unrecht, wenn er im Hochwald behauptet, hier sei es immer windstill.

Die Träne, vom Obelisken aus

Ein Obelisk im Böhmerwald



Vom See geht ein Steig, am Adalbert Stifter-Denkmal vorbei,  hoch zum Plöckenstein. Warum das Denkmal gerade in Form eines Obelisken errichtet wurde, weiß das Internetz: Auch am Grab in Linz sei ein solcher zu finden, da lag es nahe, auch hier einen zu errichten; der Architekt war im übrigen Heinrich von Ferstel, insofern ist das Denkmal überraschend schlicht.

Hier ist es an der Zeit, einige Beobachtungen zu machen, einige Hypothesen aufzustellen, die WanderInnen und deren Kleidung betreffend. Anderenorts wurde schon ausreichend über das unzureichende Schuhwerk geklagt, mit dem der Wanderer, die Wandererin auch die unmöglichsten Stellen erklimmen. Mein Liebling diesmal waren Ballerinas aus Plastik. Auch hege ich den Verdacht, dass in einigen Jahren das Wanderhemd für den Mann verschwinden und durch Funktionsshirts ersetzt werden wird, die Radfahrer normalerweise tragen - grellbunt, figurbetont, ein Täschchen am Rücken. Ein Modetrend, der grundsätzlich abzulehnen ist. Des weiteren verwundert mich, dass erwachsene Wandererinnen sich so gerne mit rosa Accessoires schmücken. Aber, wer bin ich, in Stilfragen Kritik zu üben, am Plöckenstein trage ich ein geknotetes Geschirrtuch am Kopf, da ich meinen Sonnenhut am Zimmer vergessen hatte, aus einer Not eine Tugend machend.


Adalbert Stifter ist hier ausgereizt

Adalbert-Stifter-Volksschule. Adalbert-Stifter-Steig. Adalbert-Stifter-Obelisk. Die Flechten des oberen Mühlviertels zur Zeit Adalbert Stifters (Schautafel). Adalbert-Stifter-Rundweg. Adalbert-Stifter-Jugendherberge. Stifter-Haus. Adalbert-Stifter-Mehrzweckhalle. -Gemeinde. -Verein. -Jahrbuch. Adalbert-Stifter-Institut. Adalbert-Stifter-Straße. Tschechisch-Deutsches-Adalbert-Stifter-Symposion.

Der in Linz ansässige Adalbert Stifter bezog seine Würstel vom Fleischermeister Lahner (Ecke Kaiserstraße / Lerchenfelderstrasse) aus Wien, allerdings nur im Winter, weil sie (die Würstel) ansonsten den Transport nach Linz per Postkutsche nicht überlebten.  Stifter ist ausgereizt, dank Kurt Palm auch in der Forschung (Suppe Taube Spargel sehr sehr gut. Essen und trinken mit Adalbert Stifter. Löcker Verlag, Wien 1999). 
In einigen großen Buchhandelsketten in Wien (etwa Thalia) gibt's im übrigen kein einziges Buch von ihm (Stifter, nicht Palm), und der Buchhändler meines Vertrauens in der Alser Straße drückte mir vor der Reise dankbar den Nachsommer (9,90 statt 39,90, 743 Seiten) in die Hand, der Hochwald war vergriffen. 

Schwer lag er in meinem Rucksack, der Nachsommer.

Not und Tugend

Epilog. Kulinarisches aus dem Gasthaus zum Überleben - eine Empfehlung

Neben dem Donauparadies Gierlinger ist das Gasthaus zum Überleben ein weiterer kulinarischer Höhepunkt im Mühlviertel.
Kistensau mit Mehlknödel
Saurer Kaas







Montag, 8. Dezember 2014

Herr H. kauft sich Socken und geht mit mir Essen

Hochfest der ohne Erbschuld empfangenen Jungfrau und Gottesmutter Maria, 8.12. 2014
14 km, 10.30 - 17.00 Uhr

Jonas-Reindl - Freyung - Am Hof - Graben - Rotenturmstrasse - Stephansplatz - Kärntnerstraße - Oper - Neuer Markt - Graben - Kohlmarkt - Heldenplatz - Museumsquartier - Mariahilfer Straße - Neubaugasse - Kirchengasse - Mariahilfer Straße - Westbahnhof - Mariahilfer Straße - Babenbergerstraße - Heldenplatz - Kohlmarkt - Stephansplatz - Naglergasse - Jonas-Reindl


1985 wäre ein Landeshauptmann wegen Mariä Empfängnis beinahe ins Häf'n gegangen. Im besagten Jahr war der 8. Dezember auf einen Einkaufssamstag gefallen, die Wirtschaftskammer hyperventilierte und Wilfried Haslauer sen., damals frisch wiedergewählter Landeshauptmann von Salzburg, ließ die Geschäfte offen halten. Nur hatte er die Rechnung ohne den mächtigen Sozialminister Alfred Dallinger gemacht. Der nahm den Fehdehandschuh der Schwarzen auf und saß am Ende am längeren Ast. Es kam zur Ministeranklage gegen Haslinger, und er wurde abgestraft.

Was vor 30 Jahren noch eine die Republik erschütternde Chose war, ist seit 19 Jahren ein Ding der Selbstverständlichkeit. Am 8. Dezember bleiben die Geschäfte offen, und, abertausende Weihnachtsgeschenke werden gekauft.

An einem solchen Tag über Stunden durch die Stadt zu schlendern, erschien Herrn H. und mir als eine verschärfte Form der Stadtwanderung; sich der Schwemme auszusetzen müsste, so die Annahme, zumindest einer zweimaligen Erklimmung des  Hermannkogels gleichkommen.

Die Planung war kurz und phantasiereich. Die Idee war, mit dem ersten Ikeabus in die SCS zu fahren, den Vormittag in der Shopping City zu verbringen und sich dann am Nachmittag in den ersten Bezirk zu stürzen. Das erschien dann doch als zu herausfordernd. Herr H. brachte den Vorschlag ein, sich mit zwei riesigen Einkaufstaschen auf den Weg zu machen, eine Idee, die Gott sei Dank schnell wieder in Vergessenheit geriet. Schließlich wurde als Startpunkt das Jonas-Reindl vereinbart.

Messengatter
Wir beginnen um 10 Uhr 30 - zu früh. Die Freyung ist nur schütter besetzt, und man kann fast tänzelnd durch das Palais Ferstel und über den Hof kommen. Vor dem schwarzen Kamel werden gerade noch die Spuren beseitigt, die die Wiener Schickeria am Vorabend an deren Austernbar hinterlassen hatte.

Nicht alle Geschäfte sind der Versuchung des schnöden Mammons zu Mariä Empfängnis erlegen. Die Schwäbische Jungfrau hält geschlossen, und niemand kann an diesem Tag den  "Kloumrandungsteppich" um 125 € erstehen, der dort feil geboten wird. Gerade kleine Geschäfte tun's der Jungfrau gleich, und gleichzeitig stürmen die Kundschaften nicht jedes Lokal. Gähnende Leere bei Salvatore Ferragamo, in einem Strumpfhosengeschäft haben die Verkäuferinnen viel Zeit für sich und bei Adil Besim lackiert die Dame am Empfang in aller Ruhe ihre Fingernägel.

Es ist Marienfeiertag, und im Stephansdom ist Hochamt. Wir diskutieren kurz, was nun ein "Hochamt" zu einem "Hochamt" macht, und können uns als liturgische Laien nicht einigen. Noch dazu sind wir beide zu kurzsichtig, um ausmachen zu können, wer nun die Messe zelebriert. Ich glaube ein purpurnes Käppi erkennen zu können und schließe auf den Kardinal, Herr H. rechnet mit dem Dompfarrer. Jedoch kein Punkt, wegen dem man sich in die Haare bekommen müßte, nur ein gemeinsamer Besuch beim Augenarzt wird in Aussicht genommen.

Dieses obskure Objekt der Begierde

Wir folgen der Weihnachtsbeleuchtung der Rotenturmstraße, diesen riesigen roten Kugeln, nur um wieder umzudrehen und durch die enttäuschend besuchte Kärntnerstraße zu schlendern. Besser besucht ist das Bekleidungsgeschäft, das nächst dem Finanzministerium Oberbekleidung, Accessoires und alles sonst noch Erdenkliche anbietet. Wir wollen Socken kaufen. Der Sockenkauf ist eine der vornehmsten Feiertagsbeschäftigungen, wenn nicht die vornehmste. Er ist nicht so riskant wie der Hosenkauf, aber gleichsam notwendig, wichtig und nicht trivial. Am Sockenkauf stirbt man nicht, man bekommt höchstens einen Rachenkatarrh.  Es gilt eine Richtungsentscheidung zu treffen. Schlägt man sich auf die Seite der modischen Gecken, der flamboyanten Dandys, der narzisstischen Ego-Akrobaten und greift zu orange, türkis oder hellrosa? Oder ist man einer der Grauen, der Schwarzen, meinetwegen der Dunkelblauen? Herr H. und ich sind beide Vertreter der letzteren Fraktion, obgleich wir kurz orange (Herr H.) und gestreifte (ich) in der Hand halten, die aber mit leicht angewiderten Gesichtsausdruck zurücklegen. Keine Schlange bei der Kassa, enttäuschend.



Nach Umrundung der Oper kehren wir wieder in Richtung Graben und Kohlmarkt zurück, beim Punschstand des Lions-Clubs sind nur vereinzelnde Glühwein-TrinkerInnen [2] zu sehen, und das Sicherheitspersonal der Juweliere und Edelmarken steht verloren vor den Geschäften. Im übrigen. Ein Damen-Übergangsmantel bei Chanel kostet 5.865 €, das Sicherheitspersonal wurde berechtigterweise engagiert.
Geschmacklose Luster

Gemeinsam mit 10.000 ItalienerInnen machen wir Pause - im Demel. Interessanterweise bekommen
wir sofort einen Tisch, die Demelianerinnen servieren rasch und umsichtig Kaffee. Als wir später die Rechnung in Händen halten, trösten wir uns damit, dass es beim Landtmann  ähnlich teuer gewesen wäre; wahrscheinlich röstet man hier im Udo-Proksch-Land die Bohnen mit Blattgold, und das senkrecht. 

Geschmacklose Weihnachtsmärkte
Der Weihnachtsmarkt zwischen den großen Museen ist gut besucht, wir zwängen uns in Richtung Museumsquartier, das recht verlassen mitten in der Stadt liegt. Kein Abstecher ins Ludwig oder ins Leopold, gleich weiter in die Mariahilfer Straße. Hier ist gleich viel mehr los. Das Publikum ist ein anderes als im ersten Bezirk, weniger Geldadel, weniger Touristen. Die Fußgängerzone und die Begegnungszone machen sich gut, sehr gut sogar, es ist eine Freude hier entlang zu gehen und man fragt sich, wo all die MisantropInnen geblieben sind, die noch vor einigen Monaten gegen die Fuzo gewettert hatten. Wir gehen nochmals das Thema Socken an und besuchen ein niedrigpreisigen, aber großflächigen Modetempel. Hier werden Socken Marke "fresh feet" angeboten, mit Anti-Geruchsgarantie, und wir diskutieren, welche Zielgruppe mit einer solchen Marketingstrategie wohl angesprochen werden soll.

Eine gute Rindsuppe Bernhard
die wünsche ich jetzt
ist es kalt
wünschen wir eine heiße Rindsuppe
Österreich ist das beste Rindsuppenland
nichts ist besser in Österreich als die Rindsuppe.

Hunger! Wir steuern die klassischen Wirtshäuser des siebten Bezirkes an, die alle geschlossen haben. Nur aus dem Schnitzlwirt quellen die TouristInnen. (Wien hat ein 8. Dezember - Wirtshausproblem.) Wir beginnen mit großen kulinarischen Vorhaben und enden beim Raddatz. Dort kann man durchaus gut jausnen, und wir unterhalten uns bestens über Bosna, Käsekrainer, deren regionalen Ausprägungen und Ursprünge.

Eine Skaterausrüstung?
Die Luft ist heraußen, Wir schmökern noch in einer großen Buchhandlung, ich blättere im Werke Thomas Bernhards (s.o.),  hier ist dann Umsatz. Schließlich die Schleife über das Ende der Mariahilfer Straße und dann zurück in den ersten Bezirk, um zu sehen, ob am Abend mehr Leben ist. Und in der Tat, die Innenstadt ist gut gefüllt, der Punschstand des Lions Club pulsiert, nur bei Ferragamo ist noch immer gähnende Leere.

Die Wirtschaftskammer Wien hat heute mit 120.000 EinkäuferInnen gerechnet, meldet "wien heute" am Abend: "Im Kaufrausch. Heute haben 10.000ende die Wiener Geschäfte gestürmt." Herr H., seine Socken und ich haben unseren Teil dazu beigetragen.