Dienstag, 5. März 2013

Von Nußdorf, weiter.

3. März 2013

Nußdorf - Sirbu - Kahlenberg - Sender Kahlenberg - Hermmanskogel - Dreimarkstein - Hameau - Sofienalpe/Sender - Exlberg - Schwarzenberg-Allee . Neuwaldegg - Dornbach

21 km, 741 m Aufstieg, 669 m Anstieg. [es war anders geplant]


Das Wetter strahlt, und vor acht verlasse ich das Haus. Nach einer kurzen Visite bei meinem Bäcker Blutaumüller besteige ich, bequemer Maxi der ich bin, ein car2go und brause gen Nußdorf. Langsam geht es einen altbewährten Weg hinauf, nicht entlang des Stadtwanderweges, ich wähle stattdessen den Eichlhofweg. Vorbei an riesigen Villen, grün im Gesicht, geht es durch Weinberge bergauf. Langer Rede kurzer Sinn, vorbei an ehemaligen Schänken und geschlossenen heurigen, an Kleinstfriedhöfen und Kleinstuniversitäten komme ich zum Kahlenberg - und schnaufe. Das namensgleiche Hotel dürfte schon bessere Zeiten gesehen haben, das Café hat nur mehr Mittwoch bis Sonntag geöffnet, und das auch erst ab 11 Uhr. Gegenüber gibt es einen Souvenirshop und ein angeschlossenes "cafe to go", in dem man die überteuerten Mehlspeisen auf schmucklosen Papptellern serviert; der Kaffee kommt sinnigerweise von der Marke "Sobieski". Die Kirche, die ja ein interessantes Glockenspiel hat (meiner Erinnerung nach sind auch Hadern der volkstümlichen Musik im Repertoir) ist verstummt, die Uhr auf 12.00 stehengeblieben, kein Wunder, es ist der dritte Tag der Sedisvakanz.


Duzgrenze am Kahlenberg


Es geht weiter zum Sender, dann, an weniger Villen vorbei in den Wald entlang der Höhenstraße. Überall Spuren von ambitionierten Langläufer- und SkifahrerInnen. Der Winter hat Wälder und Wege fest im Griff, und trotz Sonne kommen keine Frühlingsgefühle auf.
Es ist ein Sonntag, und der Wiener, die Wienerin frönt dem Sonntagsspaziergange. Während man am Bisamberg den Wanderer noch grüßte, tut man es hier, ganz Weltstadt, nicht mehr, und ein älterer Herr  mit Klobrillenbart, dem ich am Dreimarkstein begegne, murmelt zu seiner Frau, dass es ja noch schöner wäre, unbekannten Leute, mitten in der Stadt, auf den Gruß zu danken. In dem Zusammenhang definiere ich nun ein Projekt für meine nächste längere Wanderung: Wo in Österreich verläuft die Duzgrenze, wo beginnen die Leute unbekannte aus Prinzip zu duzen und wo siezen sie noch? Meine These: Ab 150 EinwohnerInnen/ km² siezt man, darunter wird munter geduzt. Das und eine positive PendlerInnenquote; aber später einmal mehr dazu.

Winterwandern auf der Hameau


Langsam erreiche ich das Holländerdörfl. "Hameau" ist das französische "Weiler", und nur Zugroaste wie ich sprechen es nicht französisch aus. schon oft habe ich mich gefragt, wozu das einstöckige Häusl hier soll, und man klärt mich auf, dass es eine Schutzhütte für Skifahrer (lt. Wikipedia mit Geschichte) sei; gesehen habe ich an diesem Tage keinen. Es geht, vorbei an gefrorenen Teichen und Wienerwaldwiesen durch den Buchenwald hinauf Richtung Rotes Kreuz, Sophienalpe und dem Sender.

Die Glasfaser könnte des Exelbergs Tod sein

Ich glaube mich erinnern zu können, dass ich vor Jahr und Tag einmal vom Sender direkt zur Alpe gelangt sei und gehe also nicht entlang des Wanderweges, sondern steige die Schotterstraße rauf zur Richtfunkanlage Exelberg. Die Anlage verbindet mit dem Jauerling im Westen und dem Arsenal in Wien und leidet ein bisserl auslastungsmäßig unter dem Glasfaserkabel. Aber ich schweife ab, und auch das Abschweifen vom Weg war nicht die beste Idee, obgleich der abstieg nun, über einen engen Trampelpfad im Schnee und durch hohen Buchenwald landschaftlich durchaus wertvoll ist. Noch hoffe ich auf eine Abzweigung, die mich in Richtung der Rieglerhütte und dann weiter zum Schottenhof bringt, aber auch die versäume ich. Recht beschweren tu' ich mich nicht, ich setze mich zwischendurch auf einen Baumstumpf und lese den Sonntagskurier.




Aber weiter, ich sehe eine Kleingartensiedlung (Loislalm) und in der Ferne die Exelbergstraße.  Die Siedlung finde ich spannend, der Zugang zu den Hütten und Häusern ist nichts mehr als ein enger, unbefestigter steiler Steig, der mich schon rätseln lässt, wie man hier baut, geschweige denn, was passiert, wenn man einmal die Milch vergessen hat. Heraus komme ich an der besagten Straße, und zwar am dortigen Schießstand, ich gehe weiter und quere eine große, nasse Wiese. Hier haben Wildschweine fröhliche Urständ' gefeiert und man fragt sich, wo der aufrechte, die aufrechte Wiener JägerIn geblieben ist. In der ferne lacht die Jubiläumswarte herüber.

Vom Schmelzwasser umspühlt

Hier ist es, wie schon erwähnt, recht feucht. Dort, wo ansonsten ein Weg sein dürfte plätschert das Schmelzwasser gemütlich von Tümpel zu Weier. Erfolgreich breche ich durch eine dünne Schneedecke und finde mich in feinstem Schmelzwasser wieder. Meine Füße sind nass, die Motivation schwindet, und ich verzichte auf einen Weitermarsch nach Hütteldorf. (Ich habe auch getrödelt heute, Würstl in Saft da, ein Sonnenbankerl dort, etc.) Vorbei an der Villa von Hans Holt, an der Baustelle am Hanslteich, durch den Schwarzenberg Park hinunter nach Neuwaldegg. Zur Strafe für meine Müßigkeit bzw. zur Abrundung gehe ich noch der Alszeile entlang nach Dornbach.

 

Sonntag, 3. März 2013

Wienumrundung III: Gerasdorf - Nußdorf


Gerasdorf – Bahnstraße – Marchfeldkanal – Stammersdorf – Bisamberg – Wagramer Straße – Jedlersee – Nußdorf. 27 km

2. März 2013.

Auf nach Gerasdorf!  8.35 Ankunft, Der Slogan der Gemeinde lautet „Fühl mich wohl bei dir.“. Der Zug führe weiter, nach Mistelbach. Eine Werbung am Bahnhof verwirrt mich: „Obdachlos in Gerasdorf!“ – aber wenig später finde ich heraus, dass hier ein Immobilienmakler für seine Dienste wirbt.  Der Bahnhofswirt, der frühere legendäre „Zum Joschi“, wurde neu übernommen und heißt mittlerweile „Kathi und Marto“. Im Lokal überwiegt immer noch der resopalerne Charme, auch wenn Sportwettenautomaten und ein Großbildschirm eingezogen sind, auf dem die Wiederholung eines Damen-Beach-Volleyball- Turniers läuft. Der Stammtisch wurde noch vom „Zum Joschi“ übernommen, an dem drei ältere bis alte Herren sitzen. Einer von ihnen hat in einer Hand ein Achterl, mit dem Rücken der anderen streicht er gedankenverloren über eine große Bona-Öl-Dose, die vor ihm steht.

Der „Joschi“ ist in Pension

Die Schrankenanlage am Bahnhof ist offensichtlich ausgefallen, und zwei mürrische Herren der ÖBB müssen seine Rolle übernehmen. Gleich daneben befindet sich Lagerhaus und ein gar nicht einmal schmächtiger Lagerhausturm, ein untrügliches Zeichen, sich auf niederösterreichischem Boden zu befinden. Es ist der zweite Tag der Sedisvakanz und der Vortag der niederösterreichischen Landtagswahl und verschiedene wahlwerbende Gruppierungen haben entsprechende Plakate affichiert: „Saubere Madeleine“ oder „Wählen Sie Mandl, Mag., Lukas!“. „Mut zur Heimat.“, „Klar entscheiden“ u.ä.  Ich gehe entlang der Bahnstraße, die niedrigen Häuser und die Erdkeller erinnern eher an einen Weinbauernort. Aber wohl gehört Gerasdorf eh zum Weinviertel. Später folge ich dem Gemeindeweg, biege nach Norden ab, Richtung Machfeldkanal. Vor mir hüpft ein falscher Wiederhopf und begleitet mich ein Stück des Weges. Mein nächstes Ziel ist Stammersdorf, und in der Ferne sehe ich Donauturm und Milleniumstower.

Pralles Leben auf den zweiten Blick

Der Marchfeldkanal wurde Anfang der 80iger gegraben, um zu verhindern, dass der Grundwasserspiegel im Marchfeld absinkt. Offensichtlich war dieser in den Siebzigern massiv gesunken, was insofern bedenklich ist / war, weil eben das Marchfeld als Kornkammer und Gemüsegarten Österreichs gilt und gleichzeitig das größte Grundwasserreservoir Österreichs sei. Bei Langenzersdorf wird er, der Kanal, mit Wasser der neuen Donau gespeist und reicht bis zum Rußbach bei Deutsch Wagram. (Interessanterweise fließt nicht der Rußbach durch Niederrußbach und Oberrußbach im Weinviertel sondern der Hundsgraben. Warum nur? Eine offene Forschungsfrage für HeimatkundlerInnen!) An einer Schautafel steht hier am Kanal zu lesen: „Das pralle Leben im und rings um das Gewässer enthüllt sich erst auf den zweiten Blick“.
Auch muß ich zugeben, dass ich schon hier zu schwächeln beginne, der Muskelkater vom Vortag (und das Ölmützer Schnitzel…) sowie das mangelnde Training der Vormonate  fordern Tribut.


Die Wessely am Bisamberg


Langsam nähert man sich dem Bisamberg, und ich genieße Sonne und freue mich auf den Fernblick. Erstmals bergauf, weit kann er nicht sein, der Bisamberg. Entlang der Brünner Straße geht es zum Rendezvous Berg, bei dem ich (nur mit Mühe) die Brünner Straße quere. Hier hatte Erzherzog Karl 1809 den französischen Kaiser getroffen, und gleich mehrere österreichische Kaiser hatten hier eine Jagdhütte, unter anderem auch Franz Stefan, der Gatte Maria Theresias. Seine Jagdgesellschaften hätten den Berg hier als Treffpunkt, quasi als Rendezvous, gewählt. Ich entsinne mich aber dunkel an einen alten österreichischen Film aus den Fünfzigern, Paula Wessely gab die Maria Theresia, der Fred Liewehr den Franz Stefan, und an das verbitterte Gesicht der Wessely, weil sie den Kaiser (Liewehr) bei seiner Geliebten wähnte. Wer weiß ob hier wirklich bloß der Treffpunkt der hochherrschaftlichen Jagdgesellschaft war oder ob der Maria Theresia bei der Erwähnung des „Rendezvous-Berges“ immer das sprichwörtliche G’impfte aufgegangen ist.


Ein Gulasch vom Gehrer?

Langsam wird es Mittag, und ich strebe dem Magdalenenhof zu, der ja am Bisamberg thront. Ich gehe zuerst über eine G’stetten, die in der Wissenschaft, so entnehme ich es einer Schautafel, als „Ruralfläche“ firmiert. Wie den Horizont beschreiben? Wunderbare Ausblicke vom Rinterzelt bis zum Kahlenberg. Meere von Windrädern. In der Ferne die Schlote der Kraftwerke, die Platte, der Donauturm. Ein verschwindender Stephansdom, Milleniumstower, müllverbrennender Hundertwasser. Zwischenzeitlich blinkt die goldene Kuppel des Wasserturms in Favoriten. Beim 63er Wald geht es über ein Schneefeld (die Alpinisten würden Tränen lachen, mir ist es anstrengend genug) weiter, zur Hagenbrunner Straße.

„Die Donau blitzt aus tiefem Grund,
der Stephansturm auch ganz von fern,
guckt übern Berg und säh´ mich gern ...“


  ist die Inschrift des_Eichendorff Denkmals, der hier offensichtlich öfters lustwandelte. Warum ein Oberschlesier den Bisamberg besingt, hat sich mir noch nicht erschlossen.
  Und firmiert der Magdalenenhof? Nein, das Gasthaus ist „bis auf weiteres“ geschlossen, man freue sich auf ein baldiges Wiedersehen. Ich ziehe nicht als einziger enttäuscht weiter. Als Abstieg wähle ich mehr zufällig als beabsichtigt den Klausgraben, der den Bisamberg tief einschneidet. An der linken und rechten Flanke „kleben“ Häuser und ich bewundere abenteuerliche Auffahrten zu schmucken Eigenheimen; ein/e besonders findige/r Häuslbesitzer/in hat sich sogar eine kleine Materialseilbahn gezimmert. Unten angekommen kommt mir die gegend bekannt vor, und tatsächlich, wenige hunderte Meter vom Klausgraben ist der Hauerbetrieb Schilling. Hier hat meine älteste Freundin (alt nicht im biologischen Sinn) ihr rauschendes Hochzeitsfest begangen, aber leider, zu Mittag hat der Schilling geschlossen. Also ums Eck zum Vintschger’l, die Braut wurde seinerzeit hierher nicht entführt, aber das hätte man durchaus andenken können.

Avenue Wagram, Schnellbahnunterführungen und Jedlersee

Bei der Strebersdorfer Schnellbahnstation geht’s dann weiter, Autokaderstrasse (ein wundervoller Name), und über die Jedlerseer Brücke zur Donauinsel.  Ich bin mürbe und will heim. Über den Nordsteig zum Endpunkt, die Schnellbahnstation Nußdorf.


Samstag, 2. März 2013

Wienumrundung, Teil II: Von der Donau nach Gerasdorf


1. März 2013

Kaisermühlen - Lobau – Dechantlacke – Napoleonweg - Essling - Neuessling - Hirschstätten - Breitenlee - Gerasdorf.

26 km, 120m Aufstieg, 134m Abstieg.

Gegen Mittag, am ersten Tag der Sedisvakanz,  besteige ich die U2 und reise an die Donau, genauer an die Donaustadtbrücke. Ich schwindle also ein bisschen, und kehre nicht nach Freudenau zurück – um diese Tageszeit ist die Busverbindung  eher schütter, und anstatt in der Donaumarina eine halbe Stunde zu warten kürze ich so ab.

Leider ist, gegen die Wettervorhersage, von Sonnenschein nichts zu sehen und allzu trübes Wetter begleitet mich den ganzen Tag. In einer Shell, kurz nach der U-Bahnstation, nehme ich mein Mittagessen ein, schon auch deswegen, weil hier ansonsten im Spätwinter nichts ist: die Gasthäuser, die Standln, die Kioske sind alle noch in Winterpause. Zu Beginn überholt mich noch ein Kleinlastwagen der via Donau, der auf der Ladefläche einen Außenbootmotor spazieren fährt. Aber dann beginnt die Stimmung seltsam zu werden, kein Radfahrer hat sich hierher verirrt, obgleich der Radweg nach Hainburg hier beginnt, kein Jogger, kein Spaziergänger mit Hund. Was nicht zu dieser Einsamkeit in der Stadt passen mag ist die Geräuschkulisse: hinter einem Erdwall brausen die KraftfahrerInnen verborgen vorbei und auch die Ostbahn ist weithin zu hören. Und aus den Kanaldeckeln steigt nicht der beste Duft empor. Der Winter hat die Landschaft noch fest im Griff, und die einzigen Spuren des Frühlings sind wenig später ein paar niedergetretene Schneeglöckchen in einem kleinen Vorgarten. Gut ist’s, dass ich bei tristem Novemberwetter meine Handschuhe mithabe. Wo ansonsten entlang der Donau Schweine und Lämmer bruzzeln, sieht man nur schwarze Mulden voller Holzkohlenstaub. 
Vor gar nicht allzu langer Zeit dürfte die Donau Hochwasser geführt haben, ein paar Schlammreste auf der Straße zeugen davon, aber auch die noch nicht entfernten Absperrungen. Ich gehe entlang des Kaisermühlendamms in Richtung Villa Wahnsinn. Später heißt‘s dann Biberhaufenweg, und man sieht hier, gegenüber der Donauinsel und wenig später in der Lobau, die Spuren der namensgebenden Viecher.

Chefredakteure, ihre Kalbsbackerln und die Windräder

Am Horizont sieht man zwei kümmerliche Windräder, die einsam auf der Donauinsel ihre Runden drehen. Der niederösterreichische Landesvater würde sich in’s Fäustchen lachen, wenn er die sieht. Windräder und sie bekämpfende und befürwortende Bürgerinitiativen sind ein mich faszinierendes Thema, das auch den aktuellen Falter, den Leitartikel und seinen Chefredakteur dominiert. Es scheint ein Muster zu sein, dass älter werdende JournalistInnen ihre Liebe zum Kochen entdecken und ins Waldviertel ziehen. Dort blicken sie aus dem Küchenfenster, wohlgefällig auf ihre vor sich hinschmurgelnden Kalbsbackerln (mit frischem Lorbeer) blickend, und fürchten sich, obwohl eigentlich grün - und alternativenergiebewegt, dass die sanften Hügel vor ihrer Zweitwohnsitzhaustür von einem Windrad verschandelt werden. Das Yin und Yang des Windrades.
Beim „Roten Hiasl“, einem wenig einladen Lokal („erste Wiener Fahrradtankstelle“) zweige ich in Richtung Lobau ab und besuche das Nationalparkhaus Lobau, das auf die Liste „das kann ich auch mal mit den Kindern besuchen“ kommt.

Kein Bärlauch an der Dechantenlacke

Die Dechant-Lacke und das sie bewohnende Schwanenpaar leiden unter den Resten ihrer winterlichen Decke. Ringsum zwischen Birken, Weiden und Pappeln keine Spur von Bärlauch oder auch nur Bärlauchspitzerln; es war ohnehin nur eine kurze, in mir aufkeimende Hoffnung. Nach dem Josefsteig stoße ich auf die Vorwerkstraße, und unter mächtigen Starktromleitungen komme ich zum Napoleonstein. Hier zweigt der Weg  Richtung Essling ab, und auf dem Schotter begegnet mir eine überschminkte Dame mit wallendem Mantel und in Stöckelschuhen, die mit ihrem Vater, am Telefon, ihre Beziehungsprobleme mit einem ‚Rainer‘ diskutiert und so gar nicht hierher passt. Links Schilf, rechts landwirtschaftliche Nutzfläche mit einem einsamen schwarzen Raben.
Bei der Esslinger Furt verlasse ich die Lobau. Das im chinesischen Stil gehaltene Gasthaus „Jadewald“ ist wegen Umbau geschlossen, im reich verzierten Betonbiotop im Gastgarten tummeln sich keine übergewichtigen Goldfische, sondern am Grund des Beckens liegen nur die Reste eines japanischen Zierapfels.


Hier hat das Haus noch Grund und Esslings Liebreiz

In der Kirschenalle hat das Haus noch Grund. Umso mehr ist es verwunderlich, dass einer der Eigenheimbesitzer seinen gesamten Garten, ja, asphaltiert hat. Ein paar weiße Parkplatzstreifen sind die einzige Zierde hier, und kein Grashalm stört das Idyll. Ansonsten ist zur schnurgerade Kirschenallee zu sagen, dass sie von Kirschbäumen gesäumt ist und mit ihren über 118 Nummern durchaus Länge aufweist.
Esslings Liebreiz ist endend wollend. Hier versage ich mir, das Wiener Restaurant „Esslinger Queen“ aufzusuchen und nehme meine Jause im örtlichen Zielpunkt ein. Dort, eine Leberkäsesemmel eröffnend, werfe ich einen Blick auf meine emails. H. berichtet, dass er an diesem Tage zu seiner Weltreise aufgebrochen ist – Mumbai, Osterinseln, Japan und ähnliches. Nach Essling kommt er nicht. Essling geht in Neuessling über, vorher durchquere ich noch den Wald der jungen WienerInnen aus dem Jahre 1998, eine Aufforstungsaktion der MA49. 10.000 Bäume werden p.a. in den waldärmeren Gegenden Wiens gepflanzt, 15 Jahre sind jedenfalls kein Alter für einen Wald.


Skaleneffekte im Neubau

Dann stoße ich auf klassische Neubaugebiete rund um die Karl Beck Straße. Die Polizei greift hier regelmäßig betrunkene Familienväter auf, weil sie ihre Häuser nicht unterscheiden können und den Heimweg nicht mehr finden. Kein Wunder, selbst die vertrockneten Erika-Stöckerl auf den Klofenstersimsen gleichen einem den anderen, von Haus zu Haus. Aber auch ein wenig weiter, in der Casinonestraße, haben die BauherrInnen bis in die letzte Konsequenz Skaleneffekte lukriert. Es wäre ein interessantes Projekt, einmal die Einfamilien-Neubausiedlungen der letzten Jahre zu dokumentieren. Die architektonische Uniformität ist jedenfalls am Vormarsch. Ich bin froh, wieder in Gegenden zu kommen, in denen die Siebziger und Achtziger dominieren und die obligaten Steinlöwen am Gartentor.
Vom Telefonweg (mit 8 km angeblich Wiens längster Weg) geht es weiter Richtung Hajdjöchl. Hier sehe ich wieder ein Glashaus, von denen ich, angesichts der vielen wässrigen Wiener Gurken und Tomaten, hier im Zentrum der Wiener GärtnerInnen, vielmehr erwartet hätte. Man versteht sich hier auf das Flicken zerborstener Glashausglasflächen, nicht nur eine Scheibe ist in Eigenregie repariert. Weiter auf der Ostbahnbegleitstraße, die im übrigen erst 1988 so benannt wurde und von wenig Phantasie in der Straßennamengestaltung in der ersten Legislaturperiode Zilk zeugt.

An der Stadtentwicklung vorbei

Hier, irgendwo zwischen Telefonweg und Ostbahnbegleitstraße, verliere ich den Faden und somit den Weg. Ein Grund hierfür ist sicher der mächtige Betonguß am Horizont, der Schotterberg und das lange Grübeln, was zum Teufel das hier wohl eigentlich ist – das Stadterweiterungsgebiet Seestadt Aspern. Heute besteht es noch aus einer einsam im Wind flatternden Fahne und einer Bohranlage zur Sondierung der Geothermie. Vom ehemaligen Flugfeld oder den späteren Autorennen dort findet man keine Spur. Ich habe also den markierten Weg verlassen, und anstatt endlich zu den Pony-Seen zu gelangen – eigentlich ein Höhepunkt der Wienumrundung – marschiere ich nicht endend wollend entlang der jungfräulichen Betonmauer der U2-Verlängerung, zur Linken ein Wohntraum im Kleingartenbereich, Sonnenuhren an den Wänden, Krickerlschmuck, blecherne Carports.
Endlich kann ich die U2 unterqueren, ich komme in Richtung Quadenstraße zum Gasthaus Hansi, in dem ich den Nachmittagskaffe einnehme.  Morgen gebe es Tanz mit Frankie Martin, jeden Mittwoch trifft sich hier die Sektion 2 der Donaustadt zum Stammtisch, und ein Speed-Date-Seminar wird ebenfalls beworben.
Im 22. Bezirk gibt es noch unbefestigte Straßen, wie die Bodadskygasse und die Grete Zimmergasse, über die ich jetzt weiter ziehe. Keine Spur von der Markierung des Wanderweges, aber das macht nichts, es wird hier anderswo auch nicht schöner sein. Neurisse, Breitenleer Straße, Schottenobst - Obstbau aus den Klostergärten, gleich neben dem Breitenleer Kircherl. Im Agavenweg stoße ich wieder auf den Stadtwanderweg 10. Gleich daneben ein tief eingegrabener Schotterteich mit wenig Schilf und einigen hübschen Häusern, man könnte in Breitenlee auch nett wohnen. (Agave, Akazie, Azalle, Schneeball, der Straßennamensgeber hat es hier mit Pflanzen). Ich stoße an die S2 und irre ein wenig in der einbrechenden Dämmerung umher, insgesamt überschreite ich die Schnellstraße dreimal, in Serpentinen nähere ich mich einem riesigen Möbel Ludwig. Nun wäre es stimmig, hier noch mein Abendessen einzunehmen, einen Grillteller mit Mägele-Kräuterbutter zum Beispiel, oder im danebenliegenden Zgonc Berner (wenn es sowas wie ein Zgoncrestaurant gibt). Ich gehe aber weiter und bekomme Zug zum Tor, über den Campingplatzweg geht es zu meinem Ziel in Gerasdorf.