Samstag, 2. März 2013

Wienumrundung, Teil II: Von der Donau nach Gerasdorf


1. März 2013

Kaisermühlen - Lobau – Dechantlacke – Napoleonweg - Essling - Neuessling - Hirschstätten - Breitenlee - Gerasdorf.

26 km, 120m Aufstieg, 134m Abstieg.

Gegen Mittag, am ersten Tag der Sedisvakanz,  besteige ich die U2 und reise an die Donau, genauer an die Donaustadtbrücke. Ich schwindle also ein bisschen, und kehre nicht nach Freudenau zurück – um diese Tageszeit ist die Busverbindung  eher schütter, und anstatt in der Donaumarina eine halbe Stunde zu warten kürze ich so ab.

Leider ist, gegen die Wettervorhersage, von Sonnenschein nichts zu sehen und allzu trübes Wetter begleitet mich den ganzen Tag. In einer Shell, kurz nach der U-Bahnstation, nehme ich mein Mittagessen ein, schon auch deswegen, weil hier ansonsten im Spätwinter nichts ist: die Gasthäuser, die Standln, die Kioske sind alle noch in Winterpause. Zu Beginn überholt mich noch ein Kleinlastwagen der via Donau, der auf der Ladefläche einen Außenbootmotor spazieren fährt. Aber dann beginnt die Stimmung seltsam zu werden, kein Radfahrer hat sich hierher verirrt, obgleich der Radweg nach Hainburg hier beginnt, kein Jogger, kein Spaziergänger mit Hund. Was nicht zu dieser Einsamkeit in der Stadt passen mag ist die Geräuschkulisse: hinter einem Erdwall brausen die KraftfahrerInnen verborgen vorbei und auch die Ostbahn ist weithin zu hören. Und aus den Kanaldeckeln steigt nicht der beste Duft empor. Der Winter hat die Landschaft noch fest im Griff, und die einzigen Spuren des Frühlings sind wenig später ein paar niedergetretene Schneeglöckchen in einem kleinen Vorgarten. Gut ist’s, dass ich bei tristem Novemberwetter meine Handschuhe mithabe. Wo ansonsten entlang der Donau Schweine und Lämmer bruzzeln, sieht man nur schwarze Mulden voller Holzkohlenstaub. 
Vor gar nicht allzu langer Zeit dürfte die Donau Hochwasser geführt haben, ein paar Schlammreste auf der Straße zeugen davon, aber auch die noch nicht entfernten Absperrungen. Ich gehe entlang des Kaisermühlendamms in Richtung Villa Wahnsinn. Später heißt‘s dann Biberhaufenweg, und man sieht hier, gegenüber der Donauinsel und wenig später in der Lobau, die Spuren der namensgebenden Viecher.

Chefredakteure, ihre Kalbsbackerln und die Windräder

Am Horizont sieht man zwei kümmerliche Windräder, die einsam auf der Donauinsel ihre Runden drehen. Der niederösterreichische Landesvater würde sich in’s Fäustchen lachen, wenn er die sieht. Windräder und sie bekämpfende und befürwortende Bürgerinitiativen sind ein mich faszinierendes Thema, das auch den aktuellen Falter, den Leitartikel und seinen Chefredakteur dominiert. Es scheint ein Muster zu sein, dass älter werdende JournalistInnen ihre Liebe zum Kochen entdecken und ins Waldviertel ziehen. Dort blicken sie aus dem Küchenfenster, wohlgefällig auf ihre vor sich hinschmurgelnden Kalbsbackerln (mit frischem Lorbeer) blickend, und fürchten sich, obwohl eigentlich grün - und alternativenergiebewegt, dass die sanften Hügel vor ihrer Zweitwohnsitzhaustür von einem Windrad verschandelt werden. Das Yin und Yang des Windrades.
Beim „Roten Hiasl“, einem wenig einladen Lokal („erste Wiener Fahrradtankstelle“) zweige ich in Richtung Lobau ab und besuche das Nationalparkhaus Lobau, das auf die Liste „das kann ich auch mal mit den Kindern besuchen“ kommt.

Kein Bärlauch an der Dechantenlacke

Die Dechant-Lacke und das sie bewohnende Schwanenpaar leiden unter den Resten ihrer winterlichen Decke. Ringsum zwischen Birken, Weiden und Pappeln keine Spur von Bärlauch oder auch nur Bärlauchspitzerln; es war ohnehin nur eine kurze, in mir aufkeimende Hoffnung. Nach dem Josefsteig stoße ich auf die Vorwerkstraße, und unter mächtigen Starktromleitungen komme ich zum Napoleonstein. Hier zweigt der Weg  Richtung Essling ab, und auf dem Schotter begegnet mir eine überschminkte Dame mit wallendem Mantel und in Stöckelschuhen, die mit ihrem Vater, am Telefon, ihre Beziehungsprobleme mit einem ‚Rainer‘ diskutiert und so gar nicht hierher passt. Links Schilf, rechts landwirtschaftliche Nutzfläche mit einem einsamen schwarzen Raben.
Bei der Esslinger Furt verlasse ich die Lobau. Das im chinesischen Stil gehaltene Gasthaus „Jadewald“ ist wegen Umbau geschlossen, im reich verzierten Betonbiotop im Gastgarten tummeln sich keine übergewichtigen Goldfische, sondern am Grund des Beckens liegen nur die Reste eines japanischen Zierapfels.


Hier hat das Haus noch Grund und Esslings Liebreiz

In der Kirschenalle hat das Haus noch Grund. Umso mehr ist es verwunderlich, dass einer der Eigenheimbesitzer seinen gesamten Garten, ja, asphaltiert hat. Ein paar weiße Parkplatzstreifen sind die einzige Zierde hier, und kein Grashalm stört das Idyll. Ansonsten ist zur schnurgerade Kirschenallee zu sagen, dass sie von Kirschbäumen gesäumt ist und mit ihren über 118 Nummern durchaus Länge aufweist.
Esslings Liebreiz ist endend wollend. Hier versage ich mir, das Wiener Restaurant „Esslinger Queen“ aufzusuchen und nehme meine Jause im örtlichen Zielpunkt ein. Dort, eine Leberkäsesemmel eröffnend, werfe ich einen Blick auf meine emails. H. berichtet, dass er an diesem Tage zu seiner Weltreise aufgebrochen ist – Mumbai, Osterinseln, Japan und ähnliches. Nach Essling kommt er nicht. Essling geht in Neuessling über, vorher durchquere ich noch den Wald der jungen WienerInnen aus dem Jahre 1998, eine Aufforstungsaktion der MA49. 10.000 Bäume werden p.a. in den waldärmeren Gegenden Wiens gepflanzt, 15 Jahre sind jedenfalls kein Alter für einen Wald.


Skaleneffekte im Neubau

Dann stoße ich auf klassische Neubaugebiete rund um die Karl Beck Straße. Die Polizei greift hier regelmäßig betrunkene Familienväter auf, weil sie ihre Häuser nicht unterscheiden können und den Heimweg nicht mehr finden. Kein Wunder, selbst die vertrockneten Erika-Stöckerl auf den Klofenstersimsen gleichen einem den anderen, von Haus zu Haus. Aber auch ein wenig weiter, in der Casinonestraße, haben die BauherrInnen bis in die letzte Konsequenz Skaleneffekte lukriert. Es wäre ein interessantes Projekt, einmal die Einfamilien-Neubausiedlungen der letzten Jahre zu dokumentieren. Die architektonische Uniformität ist jedenfalls am Vormarsch. Ich bin froh, wieder in Gegenden zu kommen, in denen die Siebziger und Achtziger dominieren und die obligaten Steinlöwen am Gartentor.
Vom Telefonweg (mit 8 km angeblich Wiens längster Weg) geht es weiter Richtung Hajdjöchl. Hier sehe ich wieder ein Glashaus, von denen ich, angesichts der vielen wässrigen Wiener Gurken und Tomaten, hier im Zentrum der Wiener GärtnerInnen, vielmehr erwartet hätte. Man versteht sich hier auf das Flicken zerborstener Glashausglasflächen, nicht nur eine Scheibe ist in Eigenregie repariert. Weiter auf der Ostbahnbegleitstraße, die im übrigen erst 1988 so benannt wurde und von wenig Phantasie in der Straßennamengestaltung in der ersten Legislaturperiode Zilk zeugt.

An der Stadtentwicklung vorbei

Hier, irgendwo zwischen Telefonweg und Ostbahnbegleitstraße, verliere ich den Faden und somit den Weg. Ein Grund hierfür ist sicher der mächtige Betonguß am Horizont, der Schotterberg und das lange Grübeln, was zum Teufel das hier wohl eigentlich ist – das Stadterweiterungsgebiet Seestadt Aspern. Heute besteht es noch aus einer einsam im Wind flatternden Fahne und einer Bohranlage zur Sondierung der Geothermie. Vom ehemaligen Flugfeld oder den späteren Autorennen dort findet man keine Spur. Ich habe also den markierten Weg verlassen, und anstatt endlich zu den Pony-Seen zu gelangen – eigentlich ein Höhepunkt der Wienumrundung – marschiere ich nicht endend wollend entlang der jungfräulichen Betonmauer der U2-Verlängerung, zur Linken ein Wohntraum im Kleingartenbereich, Sonnenuhren an den Wänden, Krickerlschmuck, blecherne Carports.
Endlich kann ich die U2 unterqueren, ich komme in Richtung Quadenstraße zum Gasthaus Hansi, in dem ich den Nachmittagskaffe einnehme.  Morgen gebe es Tanz mit Frankie Martin, jeden Mittwoch trifft sich hier die Sektion 2 der Donaustadt zum Stammtisch, und ein Speed-Date-Seminar wird ebenfalls beworben.
Im 22. Bezirk gibt es noch unbefestigte Straßen, wie die Bodadskygasse und die Grete Zimmergasse, über die ich jetzt weiter ziehe. Keine Spur von der Markierung des Wanderweges, aber das macht nichts, es wird hier anderswo auch nicht schöner sein. Neurisse, Breitenleer Straße, Schottenobst - Obstbau aus den Klostergärten, gleich neben dem Breitenleer Kircherl. Im Agavenweg stoße ich wieder auf den Stadtwanderweg 10. Gleich daneben ein tief eingegrabener Schotterteich mit wenig Schilf und einigen hübschen Häusern, man könnte in Breitenlee auch nett wohnen. (Agave, Akazie, Azalle, Schneeball, der Straßennamensgeber hat es hier mit Pflanzen). Ich stoße an die S2 und irre ein wenig in der einbrechenden Dämmerung umher, insgesamt überschreite ich die Schnellstraße dreimal, in Serpentinen nähere ich mich einem riesigen Möbel Ludwig. Nun wäre es stimmig, hier noch mein Abendessen einzunehmen, einen Grillteller mit Mägele-Kräuterbutter zum Beispiel, oder im danebenliegenden Zgonc Berner (wenn es sowas wie ein Zgoncrestaurant gibt). Ich gehe aber weiter und bekomme Zug zum Tor, über den Campingplatzweg geht es zu meinem Ziel in Gerasdorf.


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