Montag, 8. Dezember 2014

Herr H. kauft sich Socken und geht mit mir Essen

Hochfest der ohne Erbschuld empfangenen Jungfrau und Gottesmutter Maria, 8.12. 2014
14 km, 10.30 - 17.00 Uhr

Jonas-Reindl - Freyung - Am Hof - Graben - Rotenturmstrasse - Stephansplatz - Kärntnerstraße - Oper - Neuer Markt - Graben - Kohlmarkt - Heldenplatz - Museumsquartier - Mariahilfer Straße - Neubaugasse - Kirchengasse - Mariahilfer Straße - Westbahnhof - Mariahilfer Straße - Babenbergerstraße - Heldenplatz - Kohlmarkt - Stephansplatz - Naglergasse - Jonas-Reindl


1985 wäre ein Landeshauptmann wegen Mariä Empfängnis beinahe ins Häf'n gegangen. Im besagten Jahr war der 8. Dezember auf einen Einkaufssamstag gefallen, die Wirtschaftskammer hyperventilierte und Wilfried Haslauer sen., damals frisch wiedergewählter Landeshauptmann von Salzburg, ließ die Geschäfte offen halten. Nur hatte er die Rechnung ohne den mächtigen Sozialminister Alfred Dallinger gemacht. Der nahm den Fehdehandschuh der Schwarzen auf und saß am Ende am längeren Ast. Es kam zur Ministeranklage gegen Haslinger, und er wurde abgestraft.

Was vor 30 Jahren noch eine die Republik erschütternde Chose war, ist seit 19 Jahren ein Ding der Selbstverständlichkeit. Am 8. Dezember bleiben die Geschäfte offen, und, abertausende Weihnachtsgeschenke werden gekauft.

An einem solchen Tag über Stunden durch die Stadt zu schlendern, erschien Herrn H. und mir als eine verschärfte Form der Stadtwanderung; sich der Schwemme auszusetzen müsste, so die Annahme, zumindest einer zweimaligen Erklimmung des  Hermannkogels gleichkommen.

Die Planung war kurz und phantasiereich. Die Idee war, mit dem ersten Ikeabus in die SCS zu fahren, den Vormittag in der Shopping City zu verbringen und sich dann am Nachmittag in den ersten Bezirk zu stürzen. Das erschien dann doch als zu herausfordernd. Herr H. brachte den Vorschlag ein, sich mit zwei riesigen Einkaufstaschen auf den Weg zu machen, eine Idee, die Gott sei Dank schnell wieder in Vergessenheit geriet. Schließlich wurde als Startpunkt das Jonas-Reindl vereinbart.

Messengatter
Wir beginnen um 10 Uhr 30 - zu früh. Die Freyung ist nur schütter besetzt, und man kann fast tänzelnd durch das Palais Ferstel und über den Hof kommen. Vor dem schwarzen Kamel werden gerade noch die Spuren beseitigt, die die Wiener Schickeria am Vorabend an deren Austernbar hinterlassen hatte.

Nicht alle Geschäfte sind der Versuchung des schnöden Mammons zu Mariä Empfängnis erlegen. Die Schwäbische Jungfrau hält geschlossen, und niemand kann an diesem Tag den  "Kloumrandungsteppich" um 125 € erstehen, der dort feil geboten wird. Gerade kleine Geschäfte tun's der Jungfrau gleich, und gleichzeitig stürmen die Kundschaften nicht jedes Lokal. Gähnende Leere bei Salvatore Ferragamo, in einem Strumpfhosengeschäft haben die Verkäuferinnen viel Zeit für sich und bei Adil Besim lackiert die Dame am Empfang in aller Ruhe ihre Fingernägel.

Es ist Marienfeiertag, und im Stephansdom ist Hochamt. Wir diskutieren kurz, was nun ein "Hochamt" zu einem "Hochamt" macht, und können uns als liturgische Laien nicht einigen. Noch dazu sind wir beide zu kurzsichtig, um ausmachen zu können, wer nun die Messe zelebriert. Ich glaube ein purpurnes Käppi erkennen zu können und schließe auf den Kardinal, Herr H. rechnet mit dem Dompfarrer. Jedoch kein Punkt, wegen dem man sich in die Haare bekommen müßte, nur ein gemeinsamer Besuch beim Augenarzt wird in Aussicht genommen.

Dieses obskure Objekt der Begierde

Wir folgen der Weihnachtsbeleuchtung der Rotenturmstraße, diesen riesigen roten Kugeln, nur um wieder umzudrehen und durch die enttäuschend besuchte Kärntnerstraße zu schlendern. Besser besucht ist das Bekleidungsgeschäft, das nächst dem Finanzministerium Oberbekleidung, Accessoires und alles sonst noch Erdenkliche anbietet. Wir wollen Socken kaufen. Der Sockenkauf ist eine der vornehmsten Feiertagsbeschäftigungen, wenn nicht die vornehmste. Er ist nicht so riskant wie der Hosenkauf, aber gleichsam notwendig, wichtig und nicht trivial. Am Sockenkauf stirbt man nicht, man bekommt höchstens einen Rachenkatarrh.  Es gilt eine Richtungsentscheidung zu treffen. Schlägt man sich auf die Seite der modischen Gecken, der flamboyanten Dandys, der narzisstischen Ego-Akrobaten und greift zu orange, türkis oder hellrosa? Oder ist man einer der Grauen, der Schwarzen, meinetwegen der Dunkelblauen? Herr H. und ich sind beide Vertreter der letzteren Fraktion, obgleich wir kurz orange (Herr H.) und gestreifte (ich) in der Hand halten, die aber mit leicht angewiderten Gesichtsausdruck zurücklegen. Keine Schlange bei der Kassa, enttäuschend.



Nach Umrundung der Oper kehren wir wieder in Richtung Graben und Kohlmarkt zurück, beim Punschstand des Lions-Clubs sind nur vereinzelnde Glühwein-TrinkerInnen [2] zu sehen, und das Sicherheitspersonal der Juweliere und Edelmarken steht verloren vor den Geschäften. Im übrigen. Ein Damen-Übergangsmantel bei Chanel kostet 5.865 €, das Sicherheitspersonal wurde berechtigterweise engagiert.
Geschmacklose Luster

Gemeinsam mit 10.000 ItalienerInnen machen wir Pause - im Demel. Interessanterweise bekommen
wir sofort einen Tisch, die Demelianerinnen servieren rasch und umsichtig Kaffee. Als wir später die Rechnung in Händen halten, trösten wir uns damit, dass es beim Landtmann  ähnlich teuer gewesen wäre; wahrscheinlich röstet man hier im Udo-Proksch-Land die Bohnen mit Blattgold, und das senkrecht. 

Geschmacklose Weihnachtsmärkte
Der Weihnachtsmarkt zwischen den großen Museen ist gut besucht, wir zwängen uns in Richtung Museumsquartier, das recht verlassen mitten in der Stadt liegt. Kein Abstecher ins Ludwig oder ins Leopold, gleich weiter in die Mariahilfer Straße. Hier ist gleich viel mehr los. Das Publikum ist ein anderes als im ersten Bezirk, weniger Geldadel, weniger Touristen. Die Fußgängerzone und die Begegnungszone machen sich gut, sehr gut sogar, es ist eine Freude hier entlang zu gehen und man fragt sich, wo all die MisantropInnen geblieben sind, die noch vor einigen Monaten gegen die Fuzo gewettert hatten. Wir gehen nochmals das Thema Socken an und besuchen ein niedrigpreisigen, aber großflächigen Modetempel. Hier werden Socken Marke "fresh feet" angeboten, mit Anti-Geruchsgarantie, und wir diskutieren, welche Zielgruppe mit einer solchen Marketingstrategie wohl angesprochen werden soll.

Eine gute Rindsuppe Bernhard
die wünsche ich jetzt
ist es kalt
wünschen wir eine heiße Rindsuppe
Österreich ist das beste Rindsuppenland
nichts ist besser in Österreich als die Rindsuppe.

Hunger! Wir steuern die klassischen Wirtshäuser des siebten Bezirkes an, die alle geschlossen haben. Nur aus dem Schnitzlwirt quellen die TouristInnen. (Wien hat ein 8. Dezember - Wirtshausproblem.) Wir beginnen mit großen kulinarischen Vorhaben und enden beim Raddatz. Dort kann man durchaus gut jausnen, und wir unterhalten uns bestens über Bosna, Käsekrainer, deren regionalen Ausprägungen und Ursprünge.

Eine Skaterausrüstung?
Die Luft ist heraußen, Wir schmökern noch in einer großen Buchhandlung, ich blättere im Werke Thomas Bernhards (s.o.),  hier ist dann Umsatz. Schließlich die Schleife über das Ende der Mariahilfer Straße und dann zurück in den ersten Bezirk, um zu sehen, ob am Abend mehr Leben ist. Und in der Tat, die Innenstadt ist gut gefüllt, der Punschstand des Lions Club pulsiert, nur bei Ferragamo ist noch immer gähnende Leere.

Die Wirtschaftskammer Wien hat heute mit 120.000 EinkäuferInnen gerechnet, meldet "wien heute" am Abend: "Im Kaufrausch. Heute haben 10.000ende die Wiener Geschäfte gestürmt." Herr H., seine Socken und ich haben unseren Teil dazu beigetragen.    

Freitag, 2. Mai 2014

42.195 Wien. Auf den Spuren Getu Felekes


Reichsbrücke - Praterstern - Hauptallee - Schüttelstraße - Schwedenbrücke - Ring - Linke Wienzeile - Schloßallee - Mariahilferstraße - Ring - Lichtensteinstraße - Julius Tandler Platz - Friedensbrücke - Brigittenauer Lände - Praterstraße - Praterstern - Stadion - Lusthaus - Schüttelstraße - Franzensbrücke - Vordere Zollamtstraße - Ring - Heldenplatz

1. Mai 2014, 41,125 km. Start 5:45 Uhr, Ziel 16:30 Uhr

Über 42.000 Läuferinnen und Läufer haben 2014 am Wienmarathon teilgenommen, das sind etwa zehn mal so viele wie bei der ersten Auflage vor dreißig Jahren. Ich selbst habe ja mehrmals zu laufen begonnen. Nach traumatischen Erlebnissen während der Schulzeit erinnere ich mich an einen Anlauf Mitte der 90iger Jahre. Ich wohnte damals am Ende der Pfeilgasse, und eines winterlichen Morgens hatte ich mir ein Herz gefasst und bin, ausgerüstet mit Handschuhen und Haube, gestartet. Über die Tigergasse, 300 Meter entfernt, bin ich nie hinaugekommen, es blieb bei dem einen Versuch.  Um 2003 hatte ich dieses läuferische Abenteuer offensichtlich schon vergessen; draufgängerisch startete ich beim Wiener Frühlingslauf. Es war wunderbares Wetter, und über die Reichsbrücke ging es schnell voran, so schnell, dass ich am Mexikoplatz bereits zu spazieren begonnen hatte. Wenig später, ich bilde mir ein, es war dann doch am Ring, verfolgte mich bereits das Mistkommando, das traditionell am Ende des Teilnehmerfeldes Pappbecher und Bananenschalen einsammelte; nicht nur die MA 48, sondern auch eine Migräne holte mich ein und ich fand mich in einem Lazarettzelt wieder, wo mir schnell eine Spritze unbekannten Inhalts gesetzt und ich recht rasch wieder in die Freiheit entlassen wurde.
Man wird mir also kaum abnehmen, dass der Marathon eine magische Anziehungskraft auf mich ausübt, der ich mich nicht entziehen kann. Aber neugierig bin ich schon. Mein bisheriger Weitenrekord beim Wandern sind 34 km, und die letzen Kilometer robbte ich seinerzeit quasi am Zahnfleisch. Also, werde ich die 42,195 km (als Wanderer) schaffen? Und wie mache ich mich bis zum Einbiegen auf den Heldenplatz? Ich bin mal gespannt.

Frühmorgens auf der Platte

Ich starte gegen sechs Uhr auf der Platte, bewundere den DC Tower und die völlig heruntergekommenen Lokale der Copa Cagrana und der Sunken City. Der Wind bläst stark, so wie er es auf der Platte immer tut; keine Menschenseele weit und breit, nur ein Mann auf einem blauen Rennrad überholt mich. Das Schulschiff liegt ruhig vor Anker, und die Kellner eines Kreuzfahrtschiffes rauchen bedächtig an ihren Zigaretten, bevor die ersten Gäste das Frühstückbuffet stürmen.
Am Mexikoplatz kann man angeblich günstig allerhand Kram einkaufen, nur nicht zu dieser Uhrzeit. Bienenfleißige BankerInnen der Bank Austria bevölkern ansonsten die Lasallestraße, nur nicht heute. Dafür ist am Praterstern umso mehr los, in Gruppen stehen übriggebliebene Kinder der Nacht zusammen, und nicht wenige erstehen im Mac Donalds ihr Frühstück. Auch das traditionelle Klientel des Pratersterns - jenes mit schlechten Zähnen und einem verbesserungswürdigen Zugang zur Körperpflege - ist schon zahlreich versammelt. Ich entfliehe dem Stern in Richtung Prater.

Im Prater blüh'n wieder die Bäume

Auf der Wiese beim Riesenrad machen einige Arbeiter die letzen Handgriffe zum Aufbau der Bühnen, der Hendlgrills und der Getränkestande - hier wird's heute noch Rambazamba am Praterfest geben. Die Streckenführung des Marathons macht es möglich, dass ich mich in einigen Stunden auch davon überzeugen werde können. Die Kastanien auf der Hauptallee blühen in ihrer ganzen Pracht, und es fehlt nicht viel, und Robert Stolz nebst Gattin werden in einem Fiaker vorbeigezogen, Enzi Stolz ein Potpourri von Roberts schönsten Melodien summend. Ich gedenke dem Film aus den 50igern mit Theo Lingen und der Matz, "Im Prater blühen wieder die Bäume", der zu einer Zeit spielt, zu der man noch Mitzi hieß und die Mitzi die Beförderung ihres Galans zum dritten Korepititor noch am Blumenkorso im Prater feierte.  Beim Stadion biege ich dann nach rechts, und entlang von Schrebergärten komme ich beim Donakanal an, in der Schüttelstraße.

Schüttel owi

Schöne Lokale an der Lände
Wollen wir euphemistisch sein. Die Schüttelstraße zählt, neben der Triester Straße und der Tangente zu den urbansten Gegenden der Stadt. Vom Flughafen oder aus dem Burgenland kommend brausen die Autos hier in das Zentrum Wiens.  Auf die Schüttelstraße hätte ich heute gut und gern verzichten können. Trost bringt dann, nach der Querung des Kanals bei der Schwedenbrücke, der Ring. Hier bereiten umsichtige PolizistInnen den Aufmarsch zum 1. Mai vor, und gelangweilte Kellner in schwarzen Anzügen beobachten das Aufbauen von Sperren und die Umleitung des Verkehrs. Nach 2 Stunden und 5 Minuten bin ich dann am Schwarzenbergplatz, also zu einer Zeit, in der Getu Feleke, der Sieger des Marathons 2014, einige Wochen zuvor bereits triumphierend am Heldenplatz einlief. Ich habe noch Schönbrunn, das Lichtenthal und ein zweites Mal den Prater vor mir, und, dies gedenkend, kehre ich hier auf ein Schwarzenbergfrühstück ein. Neben mir sitzen zwei deutsche TouristInnen, beide um die 30, die sich, trotz der frühen Stunde, bei Marmelade und Eier im Glas sehr lebhaft über die deutsche Klassik unterhalten. Allerdings besteht diese Unterhaltung eher aus einem Monolog des Mannes, der in der Aussage gipfelt: "Ich hab' schon Schiller gelesen, da warst du noch nicht einmal geboren!" Wohlig erschaudernd ziehe ich weiter, die Aufstellung der Fraktion Sozialistischer Gewerkschafter zum Aufmarsch beobachtend, hinauf Richtung Schönbrunn.

Wienzeile, Schönbrunn und eine gesperrte Mariahilfer

Schöne Geschäfte: Mariahilfer Straße 200
Ich war vorhin ungerecht. Die Linke Wienzeile gehört, vor allem auf der Höhe des Gürtels, auch zu den urbansten Gegenden der Stadt. Hier gibt es zwar immer wieder kleine Parkanlagen und Bänke, aber niemand würde ernsthaft Erholung suchen. Vor allem zu Beginn, auf Höhe und nach dem Naschmarkt, sind hier prachtvolle Häuser zu finden, aber die Geschäfte ziehen ab und verstecken sich in den Tiefen des sechsten Bezirks oder ganz woanders. Der Wienfluss ist zur Zeit ein träges Bächlein, und vom Rückbau und den Spazierwegen entlang des Wassers ist hier auch nicht viel zu sehen, kein Wunder, fließt der Fluss doch hier auch unterirdisch. Später, in Schönbrunn, ballen sich die TouristInnen, die Busse parken in zweiter Spur und auch aus der U-Bahn quellen Trauben von Menschen. Ein Unterschied zu früher am Morgen und ein Vorgeschmack auf später.
Perlen der Wienzeile
Ich werfe einen kurzen Blick auf das Schlos, denke erneut an die Johanna Mratz (im Flm, "Im Prater..." also known as Lissi), die mit einem Erzherzog Peter Ferdinand (welcher Habsburger hieß schon je Peter? Also wirklich, WienFilm!) ein jungfräuliches Pantscherl hatte. Wenig später geht es in Richtung der Äußeren Mariahilferstraße. Genauso wie die Innere Mariahilferstraße eine Einkaufsmeile, ist die Äußere eine Schnitzelsemmelmeile. Imbiss an Imbiss reiht sich hier aneinander, und man kann zwischen Emmentalersemmerl, gebackenen Geflügelteile oder Kebab wählen. Die tragische Attraktion der Mariahilferstraße ist aber zur Zeit das explodierte Haus, das von der Feuerwehr und mit großem Gerät abgebaut und von gezählten acht PolizistInnen großräumig abgesperrt wird. 
In einen der Nebenstraßen hier wohnten einst Freunde, und so manches Espresso, so manches Tschecherl wecken Erinnerungen.  



Gesperrte Mariahilfer

Jo schau owa!

Heraus zum ersten Mai!

2006 und 2007 folgte ich am ersten Mai, mit Kinderwagen, noch der Sektion Fuchsenloch und zog von Ottakring hinein zum Rathausplatz. Ich kannte zwar niemanden, aber das Wetter war schön und die älteren Semester erzählten interessantes, etwa, wie diese Märsche in den 30igern des vorigen Jahrhunderts organisiert worden waren. Die Musik war gut, es gelang mir immer, mich hinter einer Jazzband einzuordnen, und schon damals waren die DINKS (heute: Bobos) lustige Kerlchen in roten Schuhen.
Als Richard Nimmerrichter noch als Kolumnist wirkte, war der Tag der Arbeit immer ein Großkampftag der Krone. Man feierte seinerzeit etwa, dass die StraßenbahnerInnen endlich auch am ersten Mai arbeiten müssen und der Staberl machte sich über die lichten Reihen beim Maiaufmarsch der Sozis lustig, früher sei das viel geordneter und dichter abgegangen. Ich muss hier dem Staberl widersprechen. Die Reihen sind nicht licht, nur die Gruppen sind kleiner. Die Gruppe der FSG etwa, mit Präsidenten Erich Folgar an der Spitze, hat gleichviel MarschiererInnen wie MusikantInnen dabei und ich habe schon Sorge, dass der erste Mai 2014 eine morbide Geschichte wird. Bestärkt werde ich hierbei von den Caledonian Pipes and Drums Burgenland, die für den Präsidenten und seine Freunde "Ich hatt' einen Kameraden" spielen, auf schottisch. 
Der Bürgermeister blickt auf seine roten Socken
Eine dünne Waldviertler Vertreterin der schwarzen Kernwählerschaft, mir persönlich bekannt (und wenig zugetan) behauptete ja immer, dass die Parteispitze der SPÖ die MarschiererInnen mit Würstel und Bier bestechen würde. Meine Einwände, dass ich nie Würstel und Bier bekommen hätte, wurden von der schwarzen Waldviertlerin immer weggewischt; Kreisky selbst hätte verdienten GenossInnen die Frankfurter mit den bloßen Händen aus dem kochenden Wasser gefischt. Meinerseel. Aber vielleicht hätte die Partei heute zu solchen Tricks greifen sollen? Die Abordnungen  aus Mariahilf und Neubau, die ich am Morgen beobachte sind so klein, dass solche Taschenspielertricks wohl notwendig wären. Allerdings ist mein negativer Eindruck am Morgen fehl am Platz, gegen Mittag ist der Ring gut gefüllt und mit Interesse beobachte ich die Stände von Gruppierungen links der Sozialdemokratie und den Aufmarsch der KPÖ, der zahlenmäßig übrigens stärker war als der der FSG. Hier agitieren die Gruppe Klassenkampf der österreichischen Sektion des Kollektivs permanente Revolution (CoRep), Gruppierungen aus dem Nahen Osten, die Jugendorganisation Revolution und die Organisation arbeiter-innen-kampf, während die SPÖ am Mercato Rosso trinkt.

Jedoch - beeindruckend ist der erste Mai allemal. Die stolzen alten Fahnen, die mitgetragen werden, die alten Symbole wie das der drei Pfeile, dem Kampfabzeichen der Sozialdemokratie gegen Faschismus und Reaktion, eingefasst vom "roten Ring der Freiheit". Menschen, die stolz das Abzeichen des ersten Mais tragen und kleine Fahnen schwenken.
Ansonsten ist es der richtige Tag, rote T-Shirts auszutragen, rote Schuhe oder Hosen anzuziehen oder sich den Commandante an die Brust zu pinnen. Ich sehe den Schriftzug der Aeroflot, CCCP, das Bildnis des Maximo Liders, daneben antichambrierende Wiener VorstandsdirektorInnen - und den Chef der Raiffeisenbank Oberösterreich, dem ich aber nicht unterstelle, zum Maiaufmarsch in die Bundeshauptstadt gekommen zu sein, so schlimm kann es nun wirklich nicht um die Raika OÖ stehen - oder? 

Doderer-Gedächtnis-Marathon

Doderers Stiege
Ich verlasse die Innere Stadt über die Lichtensteinstraße, an deren Ende sich ja die Strudelhofstiege befindet. Hier, auf den Stufen sitzend, denke ich an den Doderer und daran, dass mein Weg mich heute durch viele Schauplätze der Dämonen und, eben der Strudelhofstiege führt. Der Weg ging am Justizpalast vorbei, hier an der Stiege strudelt der Rene Stangeler durch die Romane, Major Melzer wohnte in der Porzellangasse, nicht unweit der Miserowkyschen Zwillinge;  am Julius Tandlerplatz, wird der Mary K. am 21. September 1925 von der Tramway der Unterschenkel abgefahren; sie wohnte übrigens am Althanplatz 6 (heute eben der Tandlerplatz), einige Wochen vorher spielte sie noch im Prater Tennis. Der rumänische Arzt Dr. Negria ruderte am Kanal seine mehr oder weniger Geliebten durch die Gegend, und bei der Friedensbrücke verbrachte der Weber Leonhard Kabaska schöne Stunden mit jungen Damen. Nur zur Sommerfrische an der Rax komme ich heute nicht.

Zurück in den Prater

Es ist nun nach Mittag, und ich werde mürbe. Das Beuschel nahe der Taborstraße richtet mich wieder auf,
Auch das ist die Hauptallee
und ich strebe via Praterstraße und -stern wieder der Hauptallee zu. jetzt ist der Prater mehr als gefüllt, auch wenn die Bands vor dem Riesenrad gerade in Pause sind; man kommt kaum durch die Massen hindurch. Ich frage mich kurz nach den Tagesumsatz im Schweizerhaus und mache mich daran, den Weg zum Lusthaus abzuarbeiten, der nicht und nicht kürzer wird. Das selbige ist gut gefüllt, unzählige deutsche Sportcoupes geben einen Eindruck von der dortigen Gästeschar, einige ReiterInnen kommen hier gemächlich vorbei. Ich habe wenig Lust, hier Rast zu machen. Die Hauptallee ist ja eine Begegnungszone für LäuferInnen, RadfahrerInnen und SpaziergängerInnen, und man spürt die Ressentiment der einzelnen Gruppen gegenüber den anderen. Wieder zurück in Richtung Stadion, der Weg wird nicht kürzer, und auch das zweite mal Schüttelstraße nimmt mich nicht für die Gegend hier ein. Aber - ein Ende ist in Sicht!

Heldenplatz - ein Einlauf

Machen wir es kurz: ich werde langsamer. Im Prater sitze ich einige zeit auf einer Bank und belausche zwei Amerikaner, die sich über den "kommunistischen Auflauf" heute unterhalten und über die Möglichkeit, "diese Menschen zu heilen". Bei einem Würstelstand geselle ich mich zu einer Gruppe RadfahrerInnen und höre ihnen beim Schweigen zu. Eine kleine Portion Eis. Ein schwarzer Kaffee. Dort eine Halbe Soda, da noch eine. Der "kommunistische Auflauf" hat sich zerstreut, aber nicht die TouristInnen, mit einer Reisegruppe unbestimmter Herkunft laufe ich, dann doch stolz, am Heldenplatz ein.   
Beweisphoto.


Ein Resüme in Zahlen.

  • 42.195.
  • 62. Ich musste zweiundsechzig Ampeln queren, gefühlte einundvierzig davon waren rot.
  • 17. In siebzehn verschiedenen Imbissen hätte ich mit einer Schnitzelsemmel nichts für meinen Cholesterinspiegel tun können.
  • 11. Wien ist eine Stadt der öffentlichen Toilettanlagen. Eines der dichtesten Toilettanlagennetze überhaupt.
  • 9. In neun verschiedenen Wettlokalen hätte ich auf das Spiel des Tages (Juventus gegen Benfica) setzen können und hätte neun mal verloren.
  • 9. Neunmal wären mir die Haare geschnitten worden, wenn der Tag der Arbeit ein Arbeitstag wäre.
  • 6. An sechs verschiedenen Stationen hätte ich beim Mac Donalds einkehren können, einmal wäre ein Whooper Ersatz gewesen.
  • 2. Eine Tube Diana mit Menthol war am Abend zu wenig. 













Dienstag, 7. Januar 2014

Quer durch Wien. Der Ost-West-Weg.

Eßling - Heustadlmais - Aspern - Mühlwasser - Strandbad Stadlau - Kaisermühlendamm - Donau City - Donauinsel - Floridsdorfer Brücke - Friedrich Engels-Platz - Muthgasse - Heiligenstädter Straße - Kardinal Initzer Platz - In der Krim - Weinberggasse - Hackenberg - Mitterwurzn - Neustift/ Walde

Dreikönigstag, 6. 1. 2014. 230 Meter Aufstieg. 29 km.

Wien bietet 13 Stadtwanderwege, oder sind es 14, wer weiß, und während das Gros entlang der Stadtgrenzen angesiedelt ist, gibt es zwei, die quer durch die Stadt führen, einer vom Kahlenbergerdorf nach Oberlaa, der andere, der unsrige, die Nummer 12, von Eßling nach Neustift am Walde. G. begleitet mich, ein passionierter Geher, und ich habe (dann sich als unnötig herausstellende) Bedenken, welches Tempo er wohl einschlagen wird. Die Anreise ist neu – via die Verlängerung der U2 nach Aspernstraße, und dann weiter mit dem Bus Richtung Groß Enzersdorf, der uns in Eßling hinausschmeißen wird.

Die Kirche in Eßling. links im Bild mein Mitwanderer G.
Vor Jahren, es sind deren neun, bin ich den Nord Süd Weg gegangen, damals mit M, und Böhmischer Prater und das schwefelumhangene Oberlaa sind ihm und mir noch bestens in Erinnerung. So sehe ich auch dieser Wanderung hoffnungsfroh entgegen, wann kommt man schon nach Aspern oder nach Eßling. Noch dazu ist das Wetter, das Licht an diesem Dreikönigstag exquisit. Die U2, die ab Donaumarina oberirdisch geführt wird, gibt den Blick freu auf Neubauviertel, in denen man sich an solchen Tagen sogar vorstellen könnte zu wohnen. Nur wenige stadtplanerische Verbrechen sind zu beklagen, und zwischen den modernen Bauten sieht man die Glashäuser alter Wiener Gärtnereien, deren Besitzer mit Sicherheit die nächsten Eßlinger Immobilienmillionäre sein werden. In der Aspernstraße findet sich ein Hinweisschild, dass hier in der Nähe Wiener Gemüse ab Hof verkauft wird, gleich neben "Blumen Elsa, Poesie für die Vase." Kurz nach Neun kommen wir in Eßling an.

Ich weiß, dass der Ausgangspunkt die Eßlinger Kirche (im übrigen ein äußerst apartes Bauwerk, dass seit Jahren den Putz verliert) ist, das Geläut ihrer Glocken weisen uns den Weg. Wir verlassen die Hauptstraße, und tauchen über die Kirschenallee und dem Eßlinger Sportplatz in die neue Eßlinger Vorstadt ein, in der sich ein ähnliches Haus an das nächste reiht. Heute scheint der traditionelle Tag der Christbaumentsorgung zu sein. Der Eßlinger, der Asperner, der Wiener (Christbaumentsorgung ist männlich) sind aber seriösere Christbaumentsorger als die Schweden, Finnen und Norweger, die das ja am 13. Jänner zu St. Knut tun, und wenn man der Werbung eines schwedischen Möbelhauses Glauben schenken mag, via Delogierung durchs Fenster. (Der hl. Knut IV., Christianisierer des Nordens mit leichten Hang zu Gewaltexzessen, wurde im 11. Jhdt. heilig gesprochen und ist der Patron Dänemarks, nicht von IKEA). Währen der Christbaum also heute das Zeitliche segnet, ist man noch weit davon entfernt, sich von der Weihnachts- und Winterdeko zu trennen. Neu sind mir jedenfalls die Lichterketten in Eiszapfenform und die stilisierten Rentiergeweihe auf Porzelanmöpsen in Vorgärten.

 Aspern ist frei jedes gastronomischen Anspruchs. Wir vernachlässigen die Pfarrkirche St. Martin und den Löwen von Aspern, auch gehen wir nicht auf französische Spurensuche. Der Weg führt weiter Richtung des Mühlwassers, und einige Palmen stimmen auf die Ausläufer der Donauküste ein. Wir ergehen uns in einer architekturkritischen Diskussion. Während G. quadratische Fenster und Sichtschutze besonders abstoßend empfindet, spreche ich mich gegen braune Hausfarben aus, breche aber eine Lanze für Eternitfassaden. Wir werden von den Spuren einer agilen Biberpopulation am Mühlwasser abgelenkt, Spuren, die sich im übrigen bis auf die Donauinsel ziehen. Einige dem Biber wenig wohlgesonnene Personen haben Bäume mit Drahtnetzen und Alufolie (wahrscheinlich wegen der Biber mit Plomben) umwickelt und verhindern so ein großflächigeres Abholzen. BiberInnen sind leider scheu, von ihnen ist hier nichts zu entdecken, kein Biberbarthaar, kein Biberrücken ist zu sehen.
Wir gelangen schließlich zum Ufer der alten Donau. Hier ziehen Ruderinnen und Ruderer ihre Bahnen, es sind viele JoggerInnen unterwegs, hie und da hockt ein von der Sonne verzückter Spaziergänger an einer Mauer, eine ähnlich verzückte Spaziergängerin lehnt an der Leitplanke einer wenig befahrenen Straße und hat die Augen geschlossen. Wir sind ganz baff. Das Wasser ist klar wie ein Bergsee, und wahrscheinlich auch so kalt. Allerdings sieht man keine Fische, nur Scherben der vergangenen Silvestersause. Unser Ziel ist die U1 Station beim Vienna International Center, genauer der Würstelstand, den wir dort in Erinnerung haben. Der hat auch geöffnet, ist allerdings kein Würstel-, sondern ein Multifunktionsdürumhotdogpferdeleberkäsestand, aber auch ein Kebab sättigt. Hernach bewundern wir die neuen DC Towers, die einmal ein Hotel, Büros und Wohnungen beherbergen sollen und mit 250 Metern Wiens höchstes Hochhaus sind (nur der Donauturm ist um zwei Meter höher).


Auch die Donauinsel ist gut besucht, ein Polizeiboot saust an uns vorbei und am gegenüberliegenden Ufer hat sich rund um ein dort liegendes Schiff eine Traube Schaulustiger gebildet, die den Einsatz der Exekutive eingehend beobachtet. Über die Floridsdorfer Brücke queren wir die Donau, nehmen beim Kebab Stand einen Espresso und sind erstaunt, dass hier, in umittelbarer Nähe der Brigittenauer Kapelle, die Universal Edition beheimatet ist. Hinüber über den Donaukanal, an den hart arbeitenden Journalisten der Kronen Zeitung und am "Internationalen Pressezentrum", dem APA Hochhaus (dem traurigsten Haus Wiens) vorbei. Hier, in Sichtweite seines ehemaligen Krone-Partners Hans Dichand, habe Kurt Falk auf eigene Kosten in den Siebzigern eine riesige "Falk" Leuchtreklame installieren lassen. Ganz offensichtlich ein Mann mit Humor.
Kurz vor der Privatklinik Döbling steigen wir in den neuzehnten Bezirk hinauf, den wir jetzt über viele Seitenstraßen in Richtung Weinberge durchqueren. Hier produziert die Firma Wieshofer & Co ihre Kronluster, hier residiert die Ronald Lauder Business School, hier residieren in verwunschen Häusern aus 1900 kleine Pharmaunternehmen und die Kirchenbeitragsstelle Döbling.

Der Weg steigt, ebenso wie die Kaufkraft der AnwohnerInnen, stetig an. An uns zischt in ihrem BMW Kombi die neue Familienministerin mit genervtem Gesichtsausdruck und Tochter am Sozius vorbei, ein bisschen später, schon im Weingarten, joggt der Präsident der Akademie der Wissenschaften samt Hund kurzatmig daher. In Neustift, es dämmert schon leicht, bewundern wir noch einen uralten Landrover, der an den Fenstern dicht mit Moos bewachsen ist.

Am Weg zum Bus, der uns zurück in die Stadt bringen soll, summen wir frohgemut die "Neustifter Polka" der Hirter Buam, frohgemut noch nie am hiesigen Kirtag gewesen zu sein und auch nie zu sein werden.



An und für sich habe ich ja keinen Hang zur Gesellschaftskritik, aber...