Freitag, 26. Mai 2017

Nach Mordor, mit den Kinders


Ereignishaus Holzschlag - Plöckenstein - Dreisessel. 17 km, 650m Aufstieg
Christihimmelfahrt 2017. 17 km, 650m Höhenunterschied, 6 Stunden.

Eine Variante dieser Wanderung findet sich unter "Dem Mühlviertel aufs Dach gestiegen"



Seit Tagen bewirbt ein deutscher Privatsender sein Programm  am letzten Wochenende im Mai als "das beste zum Vatertag." Ich habe mich vielerorts erkundigt, die ÖsterreicherInnen feiern ihre Väter gar nicht im Mai. Aber Väter sind eigenartige Wesen und feiern die Feste so wie sie fallen. Ich zum Beispiel nutze dieses Wochenende, um mit meinen Söhnen G&T (7 und 11 Jahre) nach Mordor zu reisen.

Anstatt eines Vorworts eine Handreichung für Menschen, die der Tolkien-Welt entsagt haben

Mordor...verdorrtes, verfaultes Land der Dunkelheit
Orks....schreckliche Kreaturen, die Menschen essen
Das Auge Saurons...Sauron ist der dunkle Herrscher, der Chef von Mordor. Das Auge ist sein Überbleibsel, mit dem er Mordor überwacht
Das tänzelnde Pony...ein Gasthaus, nicht am Rande von Mordor, hier für uns schon

 

Mordor liegt im Böhmerwald

Von der Endstation der Mühkreisbahn in Aigen/Schlägl sind es noch 17km zu Fuß nach Holzschlag. Kein Wunder, dass wir gerne das familiäre Taxi nutzen und uns zum Ereignishaus in Holzschlag chauffieren lassen. Beim Stift in Schlägl machen wir Zwischenhalt und besuchen wieder einmal die Schlägler Kerzenwelt. Von den lebensgroßen Figuren ist nur mehr der Hans Moser übrig, als Dienstmann steht er hinter der Kassa. Schmerzlich wird der wachsene Papst Benedikt XVI. vermisst, der  der Welt des Kitsches im riesigen Shop einst gewissen Kontrast verlieh.

Im Gasthaus zum tänzelnden Pony in Holzschlag

Das Tourismushaus Holzschlag blickt auf eine bald hundertjährige Geschichte zurück. Es wurde in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts vom Stift Schlägl erbaut und bietet Wanderer, Skifahrer und Schulklassen Herberge. Ein einsamer Wanderer und wir sind heute die einzigen Gäste. Neben der Schank liegen einige Prospekte, alte Gästebücher und die Lebenserinnerungen einer ehemaligen Pächterin des Tourismushauses, die mit ihren Eltern und Geschwistern das Gasthaus bis kurz nach den 2. Weltkrieg bewirtschaftet hatte. Damals waren bis zu 90 Personen mittags hier zu Gast, und Holzschlag ein beliebter Ort für Sommerfrischler und Wintersportler, die aus Budweis, aus Linz und Passau hierherkamen. Das Stift hatte das Gasthaus mit einem eigenen Kraftwerk ausgestattet, es wurde eine Landwirtschaft betrieben, Brot gebacken, Hochzeiten gefeiert und im Erdkeller ein Jahresbedarf an Kartoffeln gehortet.  Welch ein Unterschied zur Abgeschiedenheit, die den Ort heute umgibt.



Entlang vom Klafferbach nach Norden

 Am Morgen, entlang des Klafferbaches, in Richtung Norden, sind die Themenkreise der Wandergruppe mannigfaltig. Gianluigi Buffon. Der Zahlenraum über 30. Meine Erlebnisse beim Spiel LASK gegen Rapid 1993 (?), mit F., als ich irrtümlich für einen LASK Fan gehalten worden war. Ein Bird of Prey der Klingonen enttarnt sich vor uns auf dem Forstweg. Mich verwundert im übrigen, wie viele doppelseitige Laserschwerter man im Böhmerwald auffinden kann, Adalbert Stifter hat dieses Motiv seinerzeit völlig außen vor gelassen. Wir diskutieren, warum Rapid in den Augen vieler OberösterreicherInnen keine unterstützenswerte Mannschaft ist. Ich versuche zu verstehen, warum der Zwerg Gimli gerade eine angesagte Figur aus dem Herr-der-Ringe-Universum ist (und scheitere). Die Talstation des Schleppliftes auf den Hochficht sieht aus wie das "Schwarze Tor", der Zugang nach Mordor (die einen), sieht nicht aus wie das "Schwarze Tor", der Zugang nach Mordor (die anderen). Die erste Stunde verfliegt, ohne dass jemand nachfragt, wie weit es noch sei, wie lange es noch dauerte oder wieviele Kilometer man noch gehen müsse.

Der Ork von heute


Je näher wir Mordor kommen, desto öfter treffen wir auf kleine Gruppen von Moutainbikern. Der Ork von heute ist der Mountainbiker, beschließen wir, und fürchten uns nicht. "Die Ära der Mennschheit ist vorrüber!" meint ein Ork-Hauptmann in der "Rückkehr des Königs". Wenn man sich die mitgenommenen Radfahrerinnen ansieht, die an uns vorbeiziehen (und -schieben), ist das Zeitalter der Mountainbiker definitiv noch nicht gekommen. Jetzt beginnen die Fragen nach der verbeibenden Dauer und der ausstehenden Weite. Nach mehr als zwei Stunden biegen wir vom Feldweg ab, hinauf zum borkenkäferzerfressenen Gipfel des Plöckensteins.

Das Auge Saurons

Viel haben wir in der letzten Stunde über Mordor im Böhmerwald gesprochen. Vom Sturm Kyrill im Jänner 2007, der hier im Böhmerwald gewütet hatte, und vom Borkenkäfer, der hernach den Bäumen zusetzte. Je weiter man zur böhmischen Grenze kommt, die am Kamm entlang des Plöckensteins verläuft, desto mehr Totholz ist zu sehen, die Wege sind ausgespült, überall nackter Granit,  und viele mächtige Bäume liegen entwurzelt am Wegesrand. "Papa, wann sind wir endlich in Mordor?" Ich hatte nicht zu viel versprochen, und wir steigen hinauf zum Plöckenstein. Kurz vor dem Gipfel kommt es zu ersten Meutereien. Man droht mir mit der ewigen Verdammnis und mit dem Enterben, wenn es noch weit bis zum Ziel sei (am Dreisessel-Schutzhaus, dort wo Oma und Opa mit dem Auto - und Omas Kühltasche warten), und mit letzter Kraft schleppen wir uns zum Gipfel. Das Auge Saurons dort ist das Gipfelkreuz,  was als etwas enttäuschend empfunden wird, und hier, an der tschechischen Grenze, machen wir Mittagsrast.


Expertenmeinungen zur Wanderung: Mehr Magma.

G, wie war die Wanderung?
Cool. Es war voll anstrengend. Mordor war klasse, und klar will ich wieder einmal wandern gehen. Aber nie wieder 17 Kilometer.

T, Deine Meinung zu Mordor?
Anstrengend, aber auch lustig. Besonders mein Bruder, weil er hin und wieder eine Mimose ist. Wann du mir das nächste mal sagst, wie weit es wirklich ist, gehe ich wieder mit. Um wirklich Mordor zu sein, bräuchte es dort mehr Magma.



 Zwischen Gondor, Rohan und Bruchtal

Hier am Nordwaldkamm, stoßen Österreich, Bayern und Tschechien zusammen. Wir diskutieren, ob es notwendig gewesen wäre, Pässe mitzunehmen, und erfreuen unseres Rechts auf Freizügigkeit, innerhalb Europas zwischen den Ländern herumzuhüpfen wie es uns gerade in den Sinn kommt. Der Weg ist beschwerlich, man springt von Stein zu Stein, und G+T haben ihre alte Frische wieder. Kein Knurren mehr, keine einzige Frage nach dem Rest des Weges. Uns begegnen tschechische Wanderer mit einem gebrochenen "Hallo", Bayrische mit einem "Servus" wie es sonst nur Old Shatterhand im Schuh des Manitou konnte, die OberösterreicherInnen mit einem mehr als schneidigen "Griasseng". Ein paar Bobos haben sich auch hier herauf verirrt, Bobos grüßen nicht. Der Weg vom Plöckenstein zum Dreisessel ist mit 2 1/2h nicht zu kurz angegeben, zur rechten Tschechien mit dem Plöckensteiner See, dem Stifter Obelisken, der Moldau, zur linken sieht man hinein ins Alpenvorland Österreichs und Bayerns.


Am Dreisessel

Endlich am Dreisessel angelangt werden wir noch Zeugen der bayrischen Staatsmeisterschaft im Bergfahren der Radfahrer/innen. Auch vor diesen bunt gekleideten Orks fürchten wir uns nicht. Die Söhne eines berühmten deutschen Schauspielers sind unter den Startern, und uns fällt partout sein Name nicht ein. Dr. Google, der sonst alles weiß, ist keine große Hilfe, denn "deutscher Schauspieler" und "große Nase" sind nicht hinreichend, um den guten Mann zu identifizieren. Es gibt verblüffend viele deutsche Schauspieler mit großer Nase. Jedenfalls zu jung, um den Liebhaber von Thekla Carola Wied zu geben und zu alt, um noch als jugendlicher Liebhaber besetzt zu werden. Dieses Rätsel bleibt ungelöst, und mit gefühlten 100 Orks verlassen wir wieder das Dreisessel-Schutzhaus.


Hernach 

Der deutsche Privatsender gibt am Abend die rechte und die linke Hand des Teufels (Enzo Barboni, Italien 1970). Eine Parabel über Geschwisterliebe, Zivilcourage und lange Unterhosen. Ein würdiger Abschluß des Tages.

Sonntag, 21. Mai 2017

After Work, auf die Reisalpe!


Hohenberg - Andersbachtal - Kashof - Stadler - Brennalm - Reisalpe Schutzhaus. 11 km, 970 Höhenmeter, 5 Stunden (laut Beschilderung auch in 3h machbar).
Reisalpe - Gscheidboden - Rotenstein - Klosteralm - Muckenkogel - Seilbahn - Lilienfeld. 16 km, 450 Höhenmeter, 6 Stunden.


Christbäume in Ottakring


Es ist Mitte Mai, und Ottakring erschüttert mich. Am Weg ins Büro entdecke ich am Straßenrand einen soeben entsorgten Christbaum, die meisten Äste sind feinsäuberlich abgesägt, und nur mehr einige wenige braune Nadeln hängen trostlos an ihm. Sein Kreuz hat er noch, der Christbaum, und so steht er aufrecht, aber nicht stolz am Gehsteig meiner Gasse.
Es fügt sich, dass ich an diesem Tage der Stadt und des Büros überdrüssig bin und einen Ausflug auf die Reisalpe geplant habe. Den Rucksack habe ich schon mit, die Stiefel sind geschnürt, noch sind einige Stunden dem österreichischen Wissenschaftssystem zu widmen, bevor ich ins Niederösterreichische entflüchte.


Einlullende Anstiege


Die Bahn bringt mich nach Sankt Pölten und anschließend nach Lilienfeld, der Bus weiter nach Hohenberg. Ins Creativdorf Hohenberg. Hier waren, an der Traisen, einst Hammer- und Gußwerke zu finden, und noch heute betreibt die voestalpine wenige Kilometer von hier die Gießerei Traisen. Mit dem Zug fährt man im übrigen durch das Gelände, und die aufgeräumte Verwahrlostheit des Werksgeländes steht im diametralen Gegensatz zum Hochtechnologie-Image ("hochwarmfeste Werkstoffe"), das mir die Homepage des Standortes vorgaukelt.



Entlang der Traisen, hier von einer Wehr aufgestaut, geht es am Denkmal des alten Hammerwerkes vorbei nach Norden. Hier begegnen mir noch einige Radfahrer, die mich dann in die Einsamkeit Andersbachtals entlassen. Es ist nicht mehr frühlingshaft, Sommer liegt in der Luft, und im Schatten, am Ufer des Baches, kann man ganz famos die Füße ins kalte Wasser strecken. Der Anstieg ist sanft, die Wiesen weit und menschenleer, und die Stadt entfällt mir rasch. Allerdings - der sanfte Anstieg ist trügerisch, ich bummle hier voreilig herum, denn nach etwa einer dreiviertel Stunde wird der Weg steil, viel steiler, und ich komme gehörig ins Schwitzen.

Man steigt in den Wald, und der Weg wird noch steiler. Dafür erhascht man dort und da Aussichten ins Tal, und blickt zufrieden auf das Geleistete. Ich muss gar oft rasten, und an einer dieser Raststationen verliere ich prompt meine schöne grüne Rogaska-Flasche, die  nachkommenden Wanderer werden in ihrem Vorgänger einen Schuft vermuten.

Grüne Hölle Andersbachtal

Fauna und Flora meinen es gut mit mir. Ein Reh, noch ein Reh, große Vögel (aus der Adler-Klasse, man nagle mich nicht fest), eine Schlüsselblume, ein blühender Apfelbaum, drei Ziegen, nur ein Hund. Der Wirt der Reisalpe erzählt mir dann später noch von Gemsen und Murmeltieren, und auch wenn ich dem Manne glaube, er hätte mir alles erzählen können, so froh war ich später, oben zu sein.



Der Ötscher ist nicht überall

Dann, wenn man nämlich glaubt, schon ganz nah am Gipfel zu sein, sind nämlich immer noch der eine oder andere Höhenmeter zurückzulegen, über zwei steile Wiesen unterhalb des Gipfels. Wendet man seinem Ziel aber den Rücken zu, so wird man mit tollen Aussichten in Richtung Schneeberg, Gemeindealpe, bis hin zum Großen Priel entlohnt. An dieser Stelle sei angemerkt, dass ich mir abgewöhnen muss, in jedem markanten Berggipfel den Ötscher zu sehen. Der Ötscher ist nicht überall.
Und endlich komme ich an, es ist knapp vor acht Uhr, und ich bin der einzige Gast, der an diesem Abend im Reisalpenschutzhaus nächtigen wird. Ich habe noch Zeit, den Sonnenuntergang und die grandiose Aussicht zu bewundern und lasse mir den kühlen Abendwind um die Nase pfeifen.  Knödel und Kraut. Und Nutellaschnitte. Ich hasse Nutella, aber die Schnitte war die beste Nutellaschnitte die man sich nur vorstellen kann.


Banzai!

30 verschiedene Wege und Steige  führen, so der Wirt, auf die Reisalpe. Ich wähle den, der mich nach Lilienfeld zum Zug führen wird. Ganz früh am Morgen allerdings nicht, erst um Sieben, und ich habe den Eindruck, dass mein Gastgeber nicht unglücklich ist, dass ich es nicht übertreibe mit dem Aufstehen. An diesem Tage bekommt die Hütte noch dazu zwei neue Mitbewohner - zwei Katzen, die von der herkulischen Aufgabe stehen werden, den Mäusen der Reisalpe den Kampf anzusagen. Banzai! möchte ich ihnen zum Abschied zurufen.

Reismäuer


Ich umwandere die Reismäuer (dort, wo die Gemsen zu Hause sind) und folge dem gestrigen Weg in Richtung Brennalm, um vorher auf einen wohl neu angelegten Forstweg hinunter zum Gscheidboden zu gelangen. Von hier geht es wieder durch den Wald, recht spektakulär, bergauf. Spektakulär sind nicht die Aussichten, sondern eher der wenig begangene Steig, eine Variante des Weitwanderweges 04, der mich hinauf in Richtung Muckenkogel führen wird.


Wo sind sie, die Nuri meiner Jugend.

Zwischenzeitlich mache ich auf einer Wiese Mittagsrast, im Rucksack habe ich noch Feigen und scharfe Fischdosen, die Feigen helfen, die Schärfe der Fische zu bändigen, kulinarisch schlüssig ist das natürlich nicht. Nochdazu sind die Dosen keine Nuri. Nuri sind ja seit bald 9 Jahrzehnten der Inbegriff für portugiesische Ölsardinen, quasi ein Synonym für Qualität.   Ach, Fischdose meiner Jugend....aber bevor ich mir zu viele Gedanken darüber mache, was portugiesische Sardinen in den niederösterreichischen Bergen verloren haben, mache ich mich in Richtung Klosteralm auf. Ein einsames Vergnügen, ich begegne den ganzen Vormittag nur einem eiligen Wanderer.

Auf der Alm beschließe ich, den Sessellift ins Tal zu nehmen,  und schaukle müde gen Lilienfeld. Bleibt noch einiges für das nächste mal am "Orchideenberg" (ich verfolge die Bemühungen des örtlichen Tourismusvereins genau: der 5-Klöster-Blick vom Muckenkogel, die 1202 gegründete Zistizienzerabteil Lilienfeld ("zur Ehre Gottes und zur Ehre der heiligen Gottesgebärerin Maria"), die Michi-Dorfmeister-Gedächtnis-Hauptschischule, das Museum des Skipioniers Mathias Zdarsky. Der war übrigens in Trebic geboren und schon der Vater des Wedelns wäre ein Deutscher gewesen, sagt mein Kollege F., aber das ist eine andere Geschichte.


Füße in Traisen