Donnerstag, 11. Oktober 2012

Die neunte Etappe: Von Böhlerwerk nach Haag

Böhlerwerk (365 m) - Oismühle - Adersdorf - Biberbach (355 m) - Seitenstetten (349 m) - St. Peter in der Au (350 m) - Weistrach (350 m) - Salaberger Wald - Haag (346 m)


10. 10. 2012. 30 km. 491 m Aufstieg, 496 m Abstieg.

Ich verlasse den Weitwanderweg 4 und folge über weite Strecken dem Mostviertler Rundwanderweg 454, der offensichtlich nicht mehr recht gepflegt wird. Die Strecke, eine der flachsten bisher, ist reich an Einkehrmöglichkeiten und an Sehenswürdigkeiten, letztere werden allesamt links liegen gelassen.

Der letzte Hügel

Ybbs
Nachts, wenn alles schläft, nehme ich den ersten Zug, der Wien verlässt und mich gen Westen bringt; vor vier, muss ich feststellen, ist jedenfalls der Westbahnhof noch nicht geöffnet und vergebens versuche ich, um diese Zeit ein Frühstück zu erwerben. Meine Hoffnung ist, im Abteil noch eine Mütze Schlaf nachzuholen, was mir auch gelingt, fast bis nach Amstetten. Ab da ist der Zug ein Schülerexpress, in dem ich feststellen muss, dass der Schüler von heute nicht mehr abschreibt, sondern die Hausübung mit dem Handy fotografiert.
An meinem Ankunftsort bin ich noch etwas orientierungslos. Ich wende mich entlang der Bahnstrecke zurück nach Oismühle, um von da an meinen letzten Hügel zu erklimmen, denn danach erwartet mich die Haager Platte, und die ist eher flach. Über Adersdorf erreiche ich Biberbach, und in Biberbach hole ich mein Frühstück nach, denn im örtlichen SPAR ist nicht nur die Herbstmode "frisch eingetroffen", sondern auch die Extrawurst.

Der idealtypische Vierkanter 

Nach Biberbach verändert sich die Landschaft. Vorbei ist's mit den Voralpen und den Kuhwiesen, Kukuruz ist angesagt. Stolze Bauernhöfe mit bis zu sechs haushohen Silos sind zu erkennen, und ich halte, nach so vielen Dreiseithöfen, Vierseithöfen und innerösterreichischen Haufenhöfen Ausschau nach meinem ersten Vierkanter. Der idealtypische Vierkanthof hat angeblich eine durchlaufende, ungebrochene First- und Traufenlinie, und es ist gar nicht einfach einen solchen zu entdecken.
Kulturlandschaft

Es geht weiter in Richtung Seitenstetten, und ich bin froh mein Garmin wieder dabei zu haben, denn mit der Beschilderung des Mostviertler Rundwanderweges käme ich nicht weit. Unter anderem hechte ich über einen elektrischen Zaun, ich breche fast durch einen Steg  und bewundere  auch sonst die rudimentäre Ausschilderung, die da und dort auch noch in die falsche Richtung weist.

Gasthausreich

War schon Biberbach gasthausreich, ist es Seitenstetten ebenso: die Busreisenden scheinen hier Wohlstand über die lokale Gastronomie gebracht haben. Ich wage einen Blick in den Stiftshof; das Stift beherbergt gerade eine Jubiläumsausstellung - 900 Jahre Stift Seitenstetten ("der Vierkanter Gottes") und besichtige den Stiftsshop, der teils wie ein dritte Welt Laden anmutet.  Ich gehe weiter nach St. Peter/Au und bemerke, dass nicht jeder Weg, der auf meiner Landkarte eingetragen ist, noch existiert. Wenig später, in Weistrach, schlägt die Kirchturmuhr zwölf Uhr, und ich nehme dies zum Anlass, mein Mittagsmahl einzunehmen.

Besiegelung

Ich entscheide mich für ein Schnitzl (es ist Schnitzlmittwoch in Weistrach) und besiegle so meine Pläne, am selben Tag noch einige Kilometer der nächsten Etappe mitzunehmen. Denn danach schleppe ich mich nur mehr schweren Schrittes in Richtung Haag. Overeaten Man Walking. Kurz vor dem Salaberger Wald blicke ich zurück. Auf meiner Karte ist hier der 'Voralpenblick' eingezeichnet und vor meinem geistigen Auge erscheint das entsprechende Panorama. Jedenfalls läßt das heutige Wetter wieder keine Fernsicht zu, verschont mich aber von Niesel und Regen. Anstatt einer Landschaftsbeschreibung möchte ich auf ein Zitat zurückgreifen und mit Nikita Chruschtschow sagen:

"[Österreich] ist ein märchenhaftes Land. Dort gibt es ausgezeichnete Straßen, sehr schöne Hügel und grüne Wiesen und eine Landschaft, die das Auge liebkost".

Der Salaberger Wald hingegen ist fad. Ich freue mich, endlich herauszukommen und schreite, mich etwas unwohl fühlend, durch einen Privatgarten zur Landesstraße.

Seitenstetten, St. Peter, Weistrach, Haag (mit Hochspannungsmasten)

Bergdorf Haag

Es sind noch etwa drei Kilometer nach Haag, und schon bald sehe ich den Kirchturm. Haag ist zu meiner Überraschung ein Bergdorf. Runter rauf zum Hauptplatz. Ob die Menschen hier, ähnlich gewisser Gegenden im Mühlviertel, alle ein kürzeres Bein haben, um das Gelände auszugleichen, entzieht sich meiner Kenntnis. Die örtlichen Wirte sind ein Muster an interner Abstimmung und haben alle am selben Tag zugesperrt. Daher Kaffee und Kardinalschnitte im Stadt Café. Der Kardinal hatte schon bessere Zeiten gesehen. Weil wir schon beim Thema Kirche sind: Es gibt in Haag den "Elektro Papst", ähnlich wie es seinerzeit bei Wilhering den "Würstl Papst" gegeben hat. Man wird ja blöd im Schädl, nach acht Stunden Wandern, und ich sinniere darüber nach, ob es sich hier um eine sinistre Diversifikationsstrategie des Instituto per le Opere die Religione handelt.
Im Café wende ich mich auch der lokalen Presse (Haager NÖN) zu und wundere mich erst einmal, das St. Valentin in SWAP-Geschäfte verstrickt ist, wundere mich dann nicht mehr, denn Waidhofen ist es auch.  In der NÖN dürften gerade Leopold-Figl-Gedächtnistage ausgerufen worden sein. In der "Lieblingsecke" wird die Lieblingsnichte Figls vorgestellt, die bei der Kukuruzwette dabei war und zu diesem Anlass ein Gedicht aufsagen durfte. An anderer Stelle bleibt nicht unerwähnt, dass Figl 1958 das Volksfest in St. Valentin eröffnete.
Am Nachmittag geht es mit dem Zug wieder Richtung Wien. Schemenhaft sehe ich den Sonntagberg. Wir überholen mehrere Zuckerrübentransporter, ein weiterer Beweis, dass der Herbst mehr als da ist.


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