Donnerstag, 4. Oktober 2012

Die siebte Etappe: Von Scheibbs nach St. Leonhard

Scheibbs / Neustift (339 m) - Lueggraben - Ort (782 m) - Distelreith (889 m) - Reinsberg (477 m) - Gresten (407 m) - Luftwirt (630 m) - Mitterreith (817 m) - Franzenreith (731 m) - Brandstatt (722 m) - St. Leonhard (726 m)

1. Oktober 2012. 34 km, 1420 km Aufstieg, 1230 m Abstieg

Bei schlechtem Wetter und ebensolcher Sicht folge ich dem Weitwanderweg 4 (hier auch 204) und komme vom Tal der großen Erlauf (Scheibbs) via Reinsberg ins Tal der kleinen Erlauf (Gresten). Von dort aus verirre ich mich über den Proviantweg in Richtung St. Leonhard.

Quatermain II

Am Vorabend falle ich ins Bett in meiner Unterkunft in Neustift und komme nicht mehr dazu, den Fernseher auszuschalten. Rechtzeitig in den frühen Morgenstunden weckt mich Richard Chamberlain in Quatermain II - auf der Suche nach der geheimnisvollen Stadt. Im Halbschlaf bin ich aber davon überzeugt, dass Bud Spencer da den Quatermain darstellt, was das eine oder andere Mißverständnis auslöst. Schon etwas wacher sinne ich darüber nach, ob Spencer und Chamberlain die selbe deutsche Synchronstimme haben (haben sie im übrigen nicht) und warum der böse Hohepriester der geheimnisvollen Stadt dauernd so herumschreien muss; jedenfalls gibt es angenehmere Arten aufzuwachen.
Ich starte um sieben Uhr in Neustift und plaudere vorher beim Frühstück noch mit der Wirtin. Als ich ihr erzähle, dass ich am selben Tag noch St. Leonhard erreichen möchte, meint sie zweifelnden Blickes: "Ja kann man das überhaupt?" Kein Beitrag zum Überwinden meines inneren Schweinehundes, der an diesem Tag besonders hartnäckig ist und mich mit dem Gedanken liebäugeln lässt, statt Richtung Gresten Richtung Bahnhof Scheibbs zu stapfen; und auch Ö Regional trägt nicht zu meiner Stimmung bei, die Regenwahrscheinlichkeit sei über 50%, sagt die Stimme aus dem Radio.

Im Graben

Aber dann biege ich doch in den Lueggraben ein und steige Richtung Gresten hinauf, ein Blick Richtung Himmel beweist: auch Radio NÖ kann sich irren. Der Lueggraben gehört zu jenen Gegenden, und ich passiere im Verlaufe meiner Wanderung nicht wenige solcher Gegenden hier die im Jahr maximal sieben Monate Sonne haben, und das auch nur ein paar Stunden am Tag; die Zeit des Schattens und der Finsternis wird auch im Lueggraben bald hereinbrechen. Kein Wunder also, dass so mancher etwa mit Gartenzwergen u.ä. ein bisschen Abwechslung in den Lueggraben bringt. Der Weg geht stetig bergan, zuerst über Asphalt, dann über Schotter. Wenig später biegt man links steil in den Wald. In der Ferne höre ich Geräusche, die ich zuerst für von einer Motorcross - Trainingsstrecke stammend halte. Aber weit gefehlt, nach etwa einer Stunde sehe ich ein beunruhigendes Schild am Weg: "Achtung Forstarbeiten, Unbefugten ist das Betreten verboten". Na, mehr habe ich nicht gebraucht. Ich frage den örtlichen (freundlichen) Machatschek, ob es einen alternativen Aufstieg gebe. Der meint: "Zruck, viri, den Steig aufi, links, rechts, über die Wiesn, am Hof vorbei, bei de Küh' links auf de Asphaltstraße und dort gibt's a Schüd'". Ich sehe meine Felle davon schwimmen, vor allem nach meinen gestrigen Erfahrungen, aber nein, mit wenig Mühe finde ich den Weg. Der Hof, Ort, scheint ein Musterhof zu sein und etwa 500 Meter weiter, am Waldesrand, gibt (genauer: gebe) es einen wunderschönen Aussichtspunkt auf den Ötscher. Allerdings nicht heute, den mittlerweile ist Fernsicht ein Fremdwort, Nebelschwaden ziehen vorbei.

Von der großen Erlauf den Lueggraben hinauf


Die feine Nase der Lousie Martini

Ich bin diesen Weg zum Teil schon einmal entlang gegangen, vor vier, fünf Jahren. Es ist überraschend, woran man sich noch erinnern kann, an ein paar markante Punkte (den Ötscherblick zum Beispiel), allerdings an wenig, was mir zur Orientierung helfen würde. Aber das Hörbuch, dass ich seinerzeit beim Wandern am iPod hörte, an das kann ich mich erinnern: Heinrich Steinfest: 'Die feine Nase der Lilli Steinbeck'. Und an ein eher maues Porträt von Louise Martini. (Diesmal ist der iPod eingemottet).


Windkraft / Metallpaneele / Kleinkläranlagen / Milchwirtschaft

Zwischen Scheibbs und Gresten fallen zwei Elemente auf. Interessanterweise nie vor Scheibbs, nie nach Gresten. Einerseits sind das Windkrafträder für den Hausgebrauch, andererseits braune Metallpaneele zur Verkleidung von landwirtschaftlichen Nutzgebäuden. Für beides dürfte es in dieser Region erstklassige VertreterInnen geben. Daneben ist auch noch die Kleinkläranlage en vogue. Interessanterweise scheinen mich alle drei Dinge zu beschäftigen, in Bild habe ich kein einziges festgehalten. Windräder kennt man zur Genüge, die hier sind halt im Miniaturformat - und interessanterweise recht leise. zu den Metallpaneelen: Wo ist denn der hölzerne Schuppen geblieben? Der mutige Einsatz von Sichtbeton in der Landwirtschaft? Nichts, nur die immergleichen gagerlbraunen Metallpaneele. Und dass ich die Kleinkläranlagen nicht fotografiert habe liegt auch daran, dass ich sie nirgends identifizieren konnte. Im übrigen glaube ich, dass hier - wie auf dem ganzen bisherigen Weg - die Senkgrube noch fröhliche Urständ' feiert.

Verdienstorden / Kühe

Spuren landwirtschaftlicher Nutzung: Die Adelwiese
Ein weiterer Aspekt der mich verwirrt ist der Vertrieb der hiesigen Milch. Während über weite Strecken meiner Wanderung die NÖM Abnehmer der Milchproduktion war (ersichtlich an Schildern an den Bauernhöfen), tauchen hier andere Vertriebswege auf: Schilder der 'Schärdinger', der 'Pinzgau Milch', der 'Tirol Milch', der 'Gmundner Milch', der 'fairen Milch' etc. Jetzt weiß ich, dass die "Schärdinger Milch' mit Schärding und Oberösterreich nur mehr wenig am Hut und etwa in Aschbach einen Standort hat, aber die Pinzgau Milch in Maishofen und in den Hohe Tauern? Warum lassen die hier produzieren? Aber wie Frank Stronach schon sagt: Wer nie mehr als 100 Arbeiter bezahlt hat, versteht nix von Wirtschaft. Und ich versteh so sicherlich nix von Milchwirtschaft. Was im übrigen völlig verschwunden ist ist die Millibitschn / der Milcheimer bzw. die Milchkanne. Vereinzelt sieht man noch neben der Straße Holzkonstruktionen, auf denen die Millibitschn früher gelagert wurden bis sie der Tankwagen der örtlichen Molkerei abholte, Millibitschn selbst sieht man gar keine mehr.


Hollywood in Reinsberg

Reinsberg
Nach steilem Abstieg über eine von Kühen bevölkerten Wiese, die ich freundlich grüße, erreiche ich Reinsberg. Über Reinsberg thront die Burgarena Reinsberg, die Hollywood-gleich beschriften ist (eben als Reinsberg, nicht als Hollywood). Die Nahversorgung garantiert "Unser Geschäft in Reinsberg". Hier gibt's auch Kaffee ("Des is mei Extra!"). Ich nehme also im örtlichen Adeg ein frühes Mittagsmahl ein und begebe mich dann über Asphaltwege in Richtung Gresten, nicht ohne mich zu wundern, dass es hier neben der Arena auch einen "ferrro ARTE-Weg, einen Mautwanderweg und eine  Stilberaterin ('Frisur-, Farb- und andere Stile') gibt. 


Gresten

Gegen Mittag erreiche ich Gresten, eine eigenartige Stadt. Wenn Wilhelmsburg Elemente einer Industrieruine hatte, dann hat Gresten solche einer Tourismusruine, denn als Tourismusstadt dürfte Gresten schon bessere Zeiten gesehen haben. Zum Beispiel 1924, da wurde hier von der Stadt Wien ein Umspannwerk errichtet.
Man sieht, Gresten verwirrt mich und darob begehe ich hier auch den einzigen folgenschweren Patzer des Tages: anstatt weiter dem Weitwanderweg 4 zu folgen gehe ich über den sogenannten Proviantweg hinauf Richtung Grestner Höhe. Das wäre nicht so schlimm, denn beide Wege vereinigen sich wieder; doch dazwischen liegt eine tief eingeschnittene Senke, und das heisst für mich; runter, rauf, Fleißaufgabe.
Zum Proviantweg: Gresten liegt offensichtlich im ehemaligen Versorgungsgebiet des Erzbergers und war verpflichtet, dorthin Getreide zu liefern. im Gegenzug gab's minderwertiges 'Provianteisen' zur Produktion von Hufeisen oder Nägel. (Was man nicht alles auf Schautafeln lesen kann). Ein Teil dieses Proviantweges führt entlang einer Bundesstraße, und die Kraftfahrer zeigen mir, dass sie diese mit dem Fahrtechnikzentrum des ÖAMTC verwechseln und gerne ausprobieren, was ihr Audi/ Opel etc. in der Kurve so hergibt. Froh verlasse ich die Bundesstraße wieder und liege gleich wieder falsch. Statt nördlich weiter zu gehen gelange ich zum Hof der Familie Straßbauer (670 m). Ich irre so lange vor dem Küchenfenster der Straßbäurin umher, bis diese ihre Küche verläßt und mir mitleidig wieder den wahren Weg weist.  Ich bin dann doch froh, wieder auf dem 'Vierer' angekommen zu sein. Vom deckungsgleichen 'Mostviertler Panorama Höhenweg' habe ich an diesem Tag herzlich wenig, es hatte schon um neun Uhr zugezogen.

Fiaker und Taxifahrer

St. Leonhard ist der Pilgerort der Wiener Fiaker und Taxifahrer. Nicht umsonst ist der heilige Leonhard der Schutzpatron der Pferde (aber auch Kettenpatron, Schutzpatron der Gefangenen). Früher, wenn man auf Wahlfahrten die drei wichtigsten einschlägigen Orte der Gegend, Maria Taferl, Sonntagberg und Mariazell besuchte, hat man St. Leonhard gerne noch 'mitgenommen'. Die Kirche und die kleine Ortschaft ist von weitem schon zu erkennen und das läßt den Schritt nochmals beschleunigen. Größtes Gebäude ist im übrigen nicht die Kirche, sondern ein vierstöckiger Kuhstall.
St. Leonhard

 Angekommen betrachte ich die ersten Kollateralschäden: Eine blutige Zehe und eine eingebildete Blase. Jedenfalls: 34 km sind zum Schluß nicht mehr lustig: es wird dämmrig, man hat eine Zeit mit der Zimmerwirtin ausgemacht, die man halten möchte, man hat Hunger und Durst. Schlicht: Die Freude am gehen geht am Ende des Tages verloren. Wettgemacht wird dies von meiner Unterkunft, dem Gasthaus Ettl, einem Hort der Mostviertler Gastlichkeit. Ich nächtige im 'Pilgerzimmer' und freue mich diebisch, dass es so genannt wird.

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