Sonntag, 28. Oktober 2012

Die zehnte Etappe - von Haag nach Enns

Stadt Haag (346m) - Seggau - Zain - St. Valentin - Langenhart - Wimm - Ennsdorf - Enns (283m)

26. Oktober 2012. 21 km, 63 m Aufstieg, 108 m Abstieg

Der Weg ist selbstdesignt und versucht, Bundesstraßen zu umgehen. Er führt über die Moststraße und teilweise über den Mostviertelrundwanderweg. Ausschließlich ziehe ich über Asphalt und über Feldwege. Ich beginne, von den äußeren Umständen immer eingeschränkter zu werden. Es wird früher finster und später hell. Es kommen jene Flüsse - Enns, Traun, Ennskanal - die ich beim besten Willen nicht furten könnte. (Gut, ich hätte nicht einmal die kleine Erlauf gefurtet). Es werden Geländeeinschränkungen - A1, Westbahn - wichtiger; gut, nicht dass ich bis dato frei durch die Wildbahn spaziert wäre, aber das sind alles zu berücksichtigende Faktoren.

Fit mach mit

Ich übernachte - wegen der einfacheren und kürzeren Anreise - am Abend zuvor in Oberösterreich und fahre morgens gen Haag. Durch den Feiertag ist allerdings der Morgenzug gestrichen und ich erreiche Haag erst nach neun Uhr.
Tag der Fahne
Feiertag, Nationalfeiertag. Der Begriff "Fit mach mit" ist meiner Erinnerung nach mit Ilse Buck konnotiert, andererseits mit Wandertagen, die zum Teil immer noch stattfinden - und nicht unbedingt am Nationalfeiertag - aber keine Massenveranstaltungen mehr sind. Also gehe ich mit gutem Beispiel voran und mache mich auf meine zehnte Etappe. Hans Werner Scheidl, der sich in seinem journalistischem Ausgedinge in "Der Presse" der Zeitgeschichte zugewandt hat, beschreibt die Fitmärsche als Hysterie (450.000 Teilnehmerinnen Mitte der Siebziger), was nur mehr von der Begeisterung für die Heeresschauen der letzten Jahre übertroffen werde, angeblich mehr als 700.000 BesucherInnen steigen sich dort auf die Zehen (und in der Tat sitzt mit mir im Zug in der früh ein Pensionist, der in Richtung Wiener Heldenplatz aufgebrochen ist). By the way, warum ist das eine bei Scheidl (von der Republik im übrigen mit der selben hohen Auszeichnung - Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst - bedacht wie Johann Grander) eine Hysterie und das andere bloße Begeisterung?
Insgesamt zähle ich an diesem Tag 21 beflaggte Häuser, ein städtischer Trend, denn an keinem Bauernhof auf meinem Weg findet sich der rot-weiß-rote Fahnenschmuck. Es wäre vermessen, hier ein Muster ableiten zu wollen. An einer der Autobahnunterführungen, die ich quere,  hat ein Graffiti - Künstler wiefolgt verewigt: "Ich werde schreien bis die Fahnen brennen!" Ob dies eine Unmutsäußerung der Landjugend ist, sei dahingestellt.

Seltsame Männer in Sankt Valentin

Um mein Mittagsmahl einnehmen zu können mache ich einen Umweg durch St. Valentin - Ort. Die St. Valentiner verstören mich. Nicht, dass die Häuser nicht gepflegt und die Gärten von herbstlichen Laub befreit wären. Nicht dass sich die Häuser in St. Valentin sehr von Häusern, sagen wir in Laaben, sehr unterscheiden würden, im Gegenteil, sie wären austauschbar. Ich reite also in St. Valentin ein und sehe bei einem der ersten Häuser, wie ein älterer Herr in seinen Sechzigern, gewandet in einem typischen Freizeitanzug (nämlich einem Trainingsanzug) auf den englischen Rasen seines Vorgartens uriniert. Leicht beschämt blicke ich zu Boden, nicht ohne mich verstohlen zu vergewissern, dass das alles wahr ist. Keine 300 Meter später erfreut der japanisch anheimelnde Garten eines Vierkanthofes mein Auge. Und wieder. Der hauseigene Großvater (Umschreibung der Person)  nestelt an seiner Hose um gewisse Dinge rasch zu erledigen. Und beide eher mittig, nicht am Rande des jeweiligen Gartens. Vielleicht sucht St. Valentin zur Zeit eine massive Blasenschwäche heim.

In der Taverne

 Ich brauche nicht lange zu suchen, um ein mich ansprechendes Gasthaus zu finden, die 'Taverne' St. Valentins. Ich widerstehe der angebotenen Maurerforelle auf der Karte und entscheide mich für eine Hasensuppe, kurz und griffig am besten mit einem Hasengulasch (eher auf der Preiselbeerseite) zu umschreiben. Obgleich mich ein Schrotkorn und seine Auswirkungen seitdem quälen bereue ich den Besuch nicht. Auf meine Frage, ob es auch eine Nachspeise gebe war die Amtwort "In St. Valentin woins ka Nochspeis!". Aso.

Der letzte lebende Fan von Bimbo Binder

Der Grund für meine Freude über die Auswahl des Gasthauses ist schlicht der dort ansässige Stammtisch. An diesem springt man innert wenigen Minuten, ich möchte fast sagen Sekunden, von 'Rapid', zum 'ORF', zum 'Spritzen der Wintergerste', zu unaussprechlichen 'Themen', zu 'Viagra', zur 'Luftschutz-Res'', zur 'Reeperbahn', zum 'Aufwärmen von Eierspeisen', zur 'Sauna'. Die Werbeaktion für die "Nackten Männer" im Leopold Museum durfte nicht fehlen.
Versuchen wir die Themen in ihren Höhepunkten zusammenzufassen.

  • Heute fahre man jedenfalls nicht man gerne zu Rapid-Matches. Als der Bimbo Binder noch gespielt hätte, das wäre was ganz anderes gewesen. [Binder hat 1949 sein letztes aktives Speil für Rapid bestritten, Anmerkung des Autors].
  • Rudolf Edlinger sponsere Rapid. Mit diesem Sponsoring sei das Unglück über Rapid hereingebrochen.
  • Die seinerzeitige Reise nach Hamburg mit dem St. Valentiner Musikverein sei etwas ganz besonderes gewesen. Höhepunkt: Die "Luftschutz-Res'" hätte man auf der Reeperbahn mit den Inhhalt eines "Scherbns" überschüttet.
  • Wintergerste sollte man jetzt spritzen und somit vom Unkraut befreien, bei Wintergetreide genüge das Frühjahr.
  • Ein Vertreter der Runde geht gerne in die Sauna. Zu diesem Behufe nehme man einen Topf warmer Kartoffeln ("im Kelomat bleibns woarm"), und den Speck vom Wagner ("Speck wia ein Butter") mit. Das würde den Saunabesuch abrunden.
Sprachlich bin ich jedenfalls angekommen ("der Wennler Liesi ihren Bruada die Schwägerin"); der Stammtisch könnte genauso in Eferding residieren.

Die Landschaft verändert sich

Ja, ich gebe es zu. Ich halte immer noch nach dem perfekten Vierkanter Aussicht. Ich finde ihn nicht, obwohl das vor mir liegende Sankt Florian angeblich die Hauptstadt der riesigen Vierkanter sein sollte. Was mir auffällt: Man verputzt am Bauernhof nicht gerne, und so ist die Fassade der Vierkanter, an denen ich vorbeikomme, oft aus Ziegeln. Ich grüble darüber nach und komme darauf, dass auch mein Nachbar in Eferding eine oder zwei Seiten seines Vierkanters in Backsteinen belassen hat. Also: Keine Besonderheit, es gibt's auch im Zentralraum. Aber: Im Zentralraum gibt's die Ziegelfassaden nicht so häufig.
Erste Spuren der Industrie
Ich begegne auch keinen Kühen mehr und rufe die Statistik Austria (heute, im Internet) zur Rate. Meine Hypothese: Die Kuhhaltung nimmt, wenn man hier nach Westen zieht, ab. Die Schweinehaltung nimmt zu. Obwohl die Statistik Austria die Daten wunderbar graphisch aufbereitet hat, finde ich keine Hinweise, um meine These zu falsifizieren oder zu verifizieren. Aber anekdotisch habe ich recht - seit ich mit Freunden einmal gleich links vom Trasimenischen See neben einem Schweinestall Urlaub machen wollte, habe ich eine Nase. Mein Freund D. sei mein Zeuge.
Abseits der Landwirtschaft muss mir bewusst werden: Jetzt beginnt der Weg, der mich an industriellen Nutzbauten und ihren Produkten vorbeiführt. So komme ich am Firmengelände der Atlas Power Crusher vorbei, die Brechanlagen erzeugen. Das erfreut das infantile Element  in mir.
Auch sehe ich meine ersten Lagerhaustürme.

Liebreizendes Wimm!

Liebreizendes Wimm! Ich durchschreite Wimm und erfasse es, von Wimm 1 bis Wimm 9. Den Nahverkehr übernimmt die Firma Deuschl, und jeden Sonntag gibt es Flohmarkt. Ich erkenne in der Ferne den Hartlauer Turm, den jeder, der entlang der Westautobahn reist, muss ihn kennen, und zum ersten mal erblicke ich ihn von hinten.

Die älteste Stadt Österreichs

Wo werde ich die Grenze zu Oberösterreich überschreiten? Woran werde ich sie (die Grenze) erkennen? An einem OKA - Umspannwerk? An der Zunahme der Linz-Land-Kennzeichen? Oder hat Erwin Pröll blau - gelbe Streifen an der Grenze angebracht? Mit ein bisschen Überlegen hätte ich voraussehender sein können. Zum Beispiel durch einen Blick auf die Landkarte. Oder mit dem Kramen in meiner Erinnerung, dass die Grenze zwischen NÖ und OÖ der Ennsfluß ist. Jedenfalls, vor der Brücke, sind zwei unübersehbare, ja, Denkmäler. Zuerst das blau/gelbe für Niederösterreich, dann jenes aus Granit für Oberösterreich. Am zehnten Tag überschreite ich also die Grenze zu OÖ.
Enns ist die älteste Stadt Österreichs und wirbt schamlos damit. Man sollte hier auch an die zweit- (Wien) und drittplatzierten (Eferding!!) denken. Beim Überschreiten der Ennsbrücke finde ich einen Gedenkstein. Er erinnert daran, dass hier bis August 1955 die russischen Besatzungsmächte stationiert waren, die Brücke teilte die Besatzungszonen. Der Stein fördert wiederum meine Erinnerung, warum am 26. 10. Nationalfeiertag ist....
Woran Enns noch arbeiten sollte ist die Ausschilderung des Bahnhofes. Die Bijouterie Gablonzer oder die Jausenstation Waldhäusl wird mit einem Schild bedacht, der Bahnhof Enns aber nur einmal und das auch eher verschämt. Grund genug, mit dem Bus nach Hause zu reisen. Dabei reise ich an der Zuckerfabrik Enns vorbei und erkenne, dass meine Oma mich nicht angelogen hat: Die Zuckerrüben, die reisen nach Enns.

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